Stefan Weidner fordert ein neues kosmopolitisches Denken

Gott als Denknotwendigkeit

Nationalismus wird immer populärer. Internationale Gemeinschaften wie die EU oder die UN werden zunehmend in Frage gestellt. Was kann man dem entgegensetzen? "Jenseits des Westens" heißt das neue Buch von Stefan Weidner. Der Islamwissenschaftler und Philosoph fordert darin ein neues kosmopolitisches Denken.

Stefan Weidner / © privat
Stefan Weidner / © privat

Der wunde Punkt, der blinde Fleck, der Ideologie des Westens sei die Austreibung Gottes, der Religion oder spirituellen Orientierung der tiefgründigen Art. Stefan Weidner zitiert in seinem Buch den Philosophen Leo Strauss. Vor der Aufklärung sorgte Gott für Orientierung und das Heil war nicht im Diesseits zu erreichen. "Nun kommt aber die Moderne, die Aufklärung und mit ihr die säkularen Heilsversprechen", erklärt Weidner, "das Versprechen, wir könnten das Diesseits selber in eine Art Paradies verwandeln und wir bräuchten die Vorstellung von etwas anderem nicht". Der unbedingte Fortschritts- und Wissenschaftsglaube ist ein weltliches Heilsversprechen. Alles scheint für uns heute erreichbar: wir können fliegen, wir können alle Krankheiten besiegen, wir können uns den Himmel und das Paradies auf Erden schaffen. "Das Einzige, was uns noch an Fremdem bleibt, was wir nicht mehr integrieren, was wir nicht heilen können im Diesseits, ist der Tod", sagt Stefan Weidner, "und genau deshalb verdrängen wir den Tod auch."

Die Gefahren des Materialismus

Ein Materialismus ohne Gott, ohne eine übergeordnete Instanz, führe dazu, dass wir das Schwache, das nicht mehr ökonomisch Nutzbare, für wertlos erachten, ist der Philosoph Weidner überzeugt. Das kann soweit führen, dass alten, kranken Menschen Sterbehilfe empfohlen wird, und Müttern, die behinderte Kinder erwarten, dazu überredet werden, ihre Kinder vor der Geburt abzutreiben. Unter dem Diktat der Ökonomie spielt Menschlichkeit und auch Nächstenliebe keine Rolle. "Am Ende wird derjenige, der auf das reine Prinzip der Materialität setzt, das heißt der Konkurrenz jeder gegen jeden, der Tüchtigste wird überleben und der andere nicht, der wird auf Dauer verlieren", ist Weidner überzeugt, "weil jeder Mensch irgendwann selbst alt, krank und schwach sein wird – und dann ist er nicht mehr der Überlegene. Das ist also keine Lebenseinstellung, die wirklich sinnvoll sein kann". Deshalb sei es sinnvoll und vernünftig, an Gott zu glauben oder ihn als Denkmöglichkeit und Denknotwendigkeit anzuerkennen, sagt Stefan Weidner. "Wenn man diese Denknotwendigkeit nicht ansetzt, muss man vor seinem Nächsten zwangsläufig permanent Angst haben", sagt der Autor, "weil es dann nur noch die nackte Materialität gibt, das nackte Konkurrenzdenken. Das ist ja die Welt, in der wir größtenteils schon leben, in der wir uns befinden."

Die Notwendigkeit einer höheren Instanz

Die Erfindung der Nationalstaaten sei ebenfalls eine Folge der Aufklärung, analysiert Weidner. In der proklamierten Volksgemeinschaft strebe die Nation nach dem Himmel auf Erden – mit den aus der französischen Revolution entlehnten Idealen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Auch diese Ideale seien eine Utopie.

Der Gedanke, eine Nation sei stärker als die andere, führe in die Sackgasse, ist sich Weidner sicher. Nationen seien künstliche Gebilde mit künstlichen Grenzen, eine Art irdisches Kleingarten-Paradies. "Man versuchte auch hier, das Paradies auf Erden zu verwirklichen", erklärt der Autor. "Nation enthält das Versprechen, dass es möglich ist oder so sein sollte, aber es ist eine Fiktion. Wenn wir uns gerade heute in der Welt umschauen, dann sehen wir, dass das Konzept der Nation ausgedient hat. Die große Frage ist, was kommt danach?"

Welche globale Weltdeutung kann den Menschen in ihren ganz unterschiedlichen kulturellen Prägungen gerecht werden?, fragt Stefan Weidner in seinem Buch. Der konsumorientierte Materialismus ist es nicht. Der Nationalismus auch nicht. Weidner fordert dagegen eine transzendente Instanz, die über allen Kulturen angesiedelt ist und den Menschen das Recht garantiert, sich ihre religiöse und irdische Heimat zu suchen. "Und dann erst sind wir in der Lage unterhalb dieser Position, verschiedene andere Weltanschauungen anzuerkennen", sagt Weidner, "als geleichberechtig, als auf einer Ebene stehend, von oben aus, sind sie dann alle auf gleicher Ebene. Dafür benötigen wir diese höhere Instanz."

16. April 2018 / 19 Uhr 30 / Literaturhaus Köln / Stefan Weidner spricht über "Jenseites des Westens / Für ein neues kosmopolitisches Denken

 


Quelle:
DR