Shida Bazyar erzählt die Geschichte einer Flüchtlingsfamilie

"Nachts ist es leise in Teheran"

"Ich würde mir wünschen, dass bei der Lektüre meines Romans ein Gefühl dafür aufkommt, wie komplex die einzelnen Schicksale von Flüchtlingsfamilien sind“, sagt Shida Bazyar im domradio.de Interview. In ihrem Debutroman "Nachts ist es leise in Teheran“ begleitet sie über vier Jahrzente eine Familie, die 1979 aus dem Iran nach Deutschland fliehen musste.

Shida Bazyar / © domradio
Shida Bazyar / © domradio

"Das ist eine Familie wie jede andere,“ sagt Shida Bazyar, "nur dass es in dieser Familie einen großen Bruch gegeben hat, weil die Eltern flüchten mussten – sie waren politisch engagiert, haben im Untergrund gearbeitet und irgendwann mussten sie das Wagnis auf sich nehmen, mit den zwei kleinen Kindern nach Deutschland zu flüchten“. 1979 – Revolution im Iran, der Schah wird gestürzt. Behsad ist einer der kommunistischen Wortführer. Doch nach der Rückkehr von Ayatolla Chomeini schlägt die Stimmung im Land um. Die islamischen Religionsführer verfolgen mit aller Härte Andersdenkende, so dass Behsad mit seiner Familie nach Deutschland flüchten muss. Das erste Kapitel erzählt Shida Bazyar aus der Perspektive des Familienvaters 1979.

Sich im Land der Eltern fremd fühlen

Zehn Jahre später, 1989, erlebt die Mutter Nahid, wie es ihr in Deutschland geht, wie sie ihre Rolle als Frau aus dem Iran in Deutschland neu finden muss. "Wir machen es uns immer so einfach", bemerkt Shida Bazyar kritisch, "wir reden vom Islam und der Rolle der Frauen im Islam und behandeln dabei wahsinnig große Pauschalsätze, ohne darauf zu achten, dass es vielleicht auch komplexe Zusammenhänge innerhalb dieser Gesellschaft gibt". Die komplexen Zusammenhänge erlebt auch die in Deutschland aufgewachsene Tochter Laleh, als sie mit ihrer Mutter 1999 nach Teheran reist. Davon erzählt die Autorin im dritten Kapitel aus der Perspektive der Tochter. "Sie versucht alles, was ihr im Iran begegnet, mit dem zu vergleichen, was sie als ganz kleines Kind erlebt hat und was ihre Eltern ihr später über den Iran erzählt haben", sagt Shida Bazyar, "und sie merkt, dass es da große Unterschiede gibt. Sie hat das Gefühlt, als habe sie das alles nur geträumt und sie müsse sich jetzt an diese Träume zurück erinnern. Und sie ist nach wie vor die Fremde im Iran. Ihre Verwandten geben ihr zwar das Gefühl, dass sie sie sehr lieb haben – aber dass sie eben doch nicht alles richtig macht“.

Die Familiengeschichte wirkt fort

Im vierten Kapitel beschreibt Shida Bazyar das Leben des jüngeren Bruders Mo, der als lässiger Student in seiner WG abhängt - ein ganz typischer, politisch uninteressierter Student in Deutschland. Doch dann hört er 2009 von der grünen Revolution im Iran, und er fragt sich: War es nicht mein Vater, der damals - 1979 - genau so alt war wie ich jetzt, und der ebenfalls im Iran für Freiheit und Menschenrechte kämpfte? "Damit identifiziert er sich und denkt, da wird doch etwas fortgeführt, was unsere Eltern damals gemacht haben,“ beschreibt die Autorin die Gefühle des Sohnes. Die Familiengeschichte holt den jungen Studenten in Deutschland ein, und er wird politisch aktiv. Shida Bazyar erzählt die Geschichte einer Flüchtlingsfamilie, in all ihren Facetten und in all ihrer Komplexität. Ergreifend vergegenwärtigt sie Lebensgeschichten, die auch deutlich machen, wie Flüchtlinge sich in Deutschland fühlen - und was Heimat, Fremde und Identität bedeutet.