Norbert Scheuer über seinen Roman "Am Grund des Universums"

Auf Indiziensuche nach dem Zauber der Welt

"Selbst am Ende des Universums wird man feststellen, dass man nicht da ist", sagt Norbert Scheuer. In seinem neuen Roman "Am Grund des Universums" findet Scheuer verborgene Indizien, die unsere erzählte Welt an die Wirklichkeit ankoppeln.

Norbert Scheuer / © Elvira Scheuer
Norbert Scheuer / © Elvira Scheuer

Am Ufer eines Stausees soll ein Feriendorf entstehen. Das gesamte Urftland in der Eifel rund um das Städtchen Kall soll in ein Touristengebiet umgestaltet werden. Dazu soll der Stausee zunächst abgelassen und dann erweitert werden. Von diesem Umbau und Umbruch erzählt der neue Roman von Norbert Scheuer. Die Alten, die "Grauköpfe", die sich in der Cafeteria des Supermarkts treffen, warten nun darauf, dass alles zum Vorschein kommt, was auf dem Grund des Sees liegt. "Sie waren gespannt darauf, endlich ihre Geschichten in den auftauchenden Dingen wiederfinden zu können," schreibt Norbert Scheuer in seinem Roman. Und tatsächlich - es finden sich dort viele Alltagsgegenstände wie rostige Hollandräder, Bierflaschen, Autofelgen oder eine Nachtspeicherheizung aber auch außergewöhnliche Dinge, die mit den Geschichten, die die Grauköpfe sich immer wieder erzählen, zu tun haben: eine Armprothese, ein Zahnarztstuhl mit Teleskop, Stahlhelme, Lünebachs Sprengbunker, eine Kiste mit Reichs- und Wehrmachtsflagge und Teile einer Monstranz. Norbert Scheuer erzählt uns in seinen Romanen die Geschichten dieser Gegenstände. In das Fenster der Monstranz zum Beispiel hat ein kriegsversehrter Eisenwarenhändler einst sein Glasauge eingesetzt. "Dieses Glasauge steht dafür, dass etwas gesehen wird und dass man selbst gesehen wird", erklärt Scheuer. "Es ist ein verborgenes Indiz dafür, dass es zwischen all den vielen Geschichten, die unser Leben wiederspiegeln, einen Zusammenhalt gibt". Zwischen Phantasie und Wirklichkeit gebe es keine Grenze, ist Scheuer überzeugt: "Alles ist wirklich, weil alles Spuren in der Wirklichkeit hinterläßt". Spuren, die nicht verschollen sind, sondern am Grund des Universums auffindbar.

Dreißig Wörter für Schlägerei

Norbert Scheuers Geschichten entführen den Leser in ein Universum, das nur scheinbar untergegangen oder vergessen ist. Der Autor krempelt die Welt um und gibt den Dingen einen Zauber, den sie hatten, als wir nur auf sie zeigen – sie aber noch nicht benennen konnten. Wichtig für den Autor aus der Eifel ist dabei der Dialekt, den er in einigen Passagen seines Romans im Original wie ein Summen aufleuchten läßt. "In der Eifel gibt es dreißig Wörter für Wirtshausschlägerei", erzählt er, "und jedes Wort meint etwas anderes". Als Schriftsteller habe er das Gefühl, im Hochdeutschen wie mit einer Schrotflinte auf die Gegenstände zu schießen, während er sie beschreibt. "Im Dialekt trifft man mit einer Kugel", sagt er.

Schreiben - ohne dass man weiß, dass man schreibt

Der Roman "Am Grund des Universums" ist aber nicht nur ein spannender Versuch, die Entzauberung der Welt rückgängig zu machen, das Buch erzählt auch von einer wundersamen Liebe zweier Menschen, die verunglückt im Leben stehen, und das Glück haben, sich zu finden. Paul kehrt schwer verletzt von seinem Einsatz als Soldat in Afghanistan zurück. Ninas Mutter und ihr Bruder sind von heute auf morgen verschwunden. Sie ist allein und leidet unter einer genetisch bedingten Leseschwäche. Sie kann schreiben, kritzeln, aber nicht lesen. "´Alexia sine Agraphia´, so heißt die Krankheit", erklärt Scheuer. Für den Autor ist das auch eine Metapher für das Geheimnis seiner Schreibkunst. "Man schreibt, ohne dass man weiß, dass man schreibt", sagt er, "und kommt, ohne zu reflektieren, den vergessenen Geschichten ganz nah".

Premierenlesung mit Nobert Scheuer am 10. September um 18 Uhr im Literaturhaus Köln, Großer Griechenmarkt 39