Nora Bossong erzählt in 'Schutzzone' vom Scheitern der UN

Warum scheint Frieden in der Welt nicht möglich?

Was bedeuten Gerechtigkeit, Vertrauen und Verantwortung? Warum scheitern auch die Vereinten Nationen immer wieder in ihren Bemühungen, für Frieden in der Welt zu sorgen? Diesen Fragen geht die Autorin Nora Bossong in ihrem neuen Roman 'Schutzzone' nach.

Nora Bossong / © Jens Kalaene (dpa)
Nora Bossong / © Jens Kalaene ( dpa )

Mira, eine junge Frau Anfang 30, arbeitet in Burundi für die Wahrheits- und Versöhnungskommission der UN, die den Völkermord an die Tutsi-Minderheit aufarbeiten soll. Mira hat ein besonderes Talent. Weil sie so gut zuhören kann, bringt sie die Menschen zum Reden. "Das macht sie vielleicht zu einer umgekehrten Sherazade", erzählt Nora Bossong. "Sie redet nicht um ihr Leben, sondern sie läßt Menschen um ihr Leben reden".

Zuhören statt von oben herab zu bekehren, auch dafür steht der Roman 'Schutzzone' von Nora Bossong. Die Autorin fragt sich, warum scheitern die Vereinten Nationen in ihren hehren Friedensbemühungen immer wieder. Ganz drastisch belegt sie das am Beispiel des Völkermords in Ruanda 1994."Dort passierte genau das, wogegen die Vereinten Nationen angetreten sind, nämlich nie wieder einen Genozid, nie wieder ein Völkermord", sagt Bossong. "Und die Vereinten Nationen waren vor Ort mit ihren Blauhelmsoldaten und man kann dort multikausal sehen, wie etwas schief gehen kann. Es sind die Interessen von Staatenlenkern in westlichen Wohlstandsdemokratien, die ihre eigene Innenpolitik wichtiger nehmen als das Schicksal von 800tausend Menschen, die einem Völkermord zum Opfer fallen".

Ein Blick in die Abgründe der Menschheit

Nora Bossong sucht nach Erklärungen. Sie stellt die große Frage, warum ist Frieden in der Welt nicht möglich? "Wenn eine Institution, die sich dem Weltfrieden verschrieben hat, scheitert, dann ist das natürlich auch ein absolut bitterer Blick in die Abgründe der Menschheit", sagt die Autorin, "und es stellt sich die Frage, warum es eigentlich nicht möglich ist, dem Frieden mehr Raum zu geben als dem Krieg?"

Eine wichtige Rolle in dem Roman 'Schutzzone' spielt der untergetauchte General Aimé, dem Mira begegnet, ein Warlord in Burundi, der den Finger in die Wunde des Scheiterns der westlichen Welt bei ihren Friedensbemühungen in Afrika legt. "Er trifft Mira genau an den Punkten, wo es schmerzt", sagt Nora Bossong, "und er konfrontiert sie immer wieder mit der Frage, was denn eigentlich ihre eigene Schuld an dem Ganzen ist? Ob sie eigentlich nur als Zuschauerin oder kleine Weltverbesserin dorthin gekommen ist oder ob sie nicht eigentlich doch auch eine Verantwortung trägt und in dem Moment, wo sie dieser Verantwortung nicht gerecht wird, sich mitschuldig macht".

Das Geheimnis aushalten

Dabei geht es immer auch um Machtansprüche und Deutungshoheiten, um die Arroganz der reichen Länder, die Afrika ausbeuten und um unsere Reflexe, die Welt in Gut und Böse einzuteilen und unser simples Verständnis von Gut und Böse, unsere moralischen Eindeutigkeiten, anderen überzutopfen. Was verstehen wir eigentlich unter Frieden, Wahrheit, Gerechtigkeit, unter Vertrauen und Verantwortung?, fragt die Autorin.

Nora Bossong öffnet in ihrem Roman Resonanzräume, die dem Leser klar machen, dass wir Widersprüchlichkeiten, Ambivalenzen und Mehrdeutigkeiten aushalten müssen. Denn wir sind weit davon entfernt, die ganze Welt verstehen zu können.

Die Ehrlichkeit probieren

"In einem Gedicht habe ich das einmal anders formuliert: 'Was sagen schon Zeilen / man geht einem Rätsel / nicht durch seine Lösung auf den Grund'", sagt Bossong. "Genau das ist es, das Geheimnis auszuhalten, die Ambivalenz auszuhalten, auszuhalten, dass wir immer nur Geschichten erzählen können, dass wir auch unsere eigene Biographie mit Leerstellen erzählen. Das, was wir tun können, ist, die Ehrlichkeit zu probieren und mit uns selbst ins Gericht zu gehen und zu fragen, wo wir eigentlich in der Welt stehen, welche Verantwortung wir tragen, beziehungsweise welche Schuld wir durch Blindheit auch mitnehmen?".

Sich dem Verlust stellen

Am Ende des Buches erleben wir eine Romanheldin Mira, die gescheitert scheint – in der Liebe und in ihrem Leben als UN-Mitarbeiterin. Mira hat viele Gewissheiten verloren, aber sie kann sich diesem Verlust stellen. "So leicht das klingen mag, aber ich glaube, das ist etwas, woran wir sehr, sehr oft scheitern. Wir erleben Verlust und verdrängen ihn dann und gestehen uns nicht ein, dass der Verlust geschehen ist", sagt Bossong. "Genau in dem Moment, wo Mira das versteht, macht sie sich frei von all dem und kann jetzt weitergehen".


Quelle:
DR