Michael Pauen über "Die Natur des Geistes"

Vernunft und Glaube an Gott sind keine Gegensätze

"Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust", der verzweifelte Gelehrte Dr. Faustus fühlt sich hin- und hergerissen – zwischen Gefühl und Vernunft. Auch heute herrscht Unordnung im Menschen. Sein Seelenleben wird durchgeschüttelt. Ständig muss er sich für eine vermeintliche Gewissheit entscheiden. Der Dualismus quält ihn. Vollkommen unnötig, sagt Professor Michael Pauen und bringt in seinem Buch "Die Natur des Geistes" Ordnung ins Seelenleben.

Professor Michael Pauen / © Andreas Labes (Fischer)
Professor Michael Pauen / © Andreas Labes ( Fischer )

"Wenn wir heute von einer Seele sprechen, dann meinen wir damit Fähigkeiten, Qualitäten, die auf eine bestimmte Art und Weise übernatürlich und immateriell sind", erklärt Professor Michael Pauen. "Früher hat man das ganz materiell gesehen. Särge hatten ein Loch, damit die Seele des Verstorbenen da aus- und einkehren kann". Diese Vorstellung spiele auch in unserer Kultur immer noch eine Rolle. "Man macht das Fenster auf, damit die Seele des Verstorbenen den Raum verlassen kann", sagt Pauen. So fühlen wir uns heute auch beseelt oder seelenverwandt. Wir sprechen von ´Leib und Seele´ oder von ein ´Herz und eine Seele`, das heißt, die Seele geistert reichlich durch unsere Sprache. Um genaueres über die Seele zu erfahren, blickt Pauen zunächst zurück in die Vergangenheit. Früher war die Seele etwas Handfestes und durchaus auch Lebensnotwendiges. "Die Seele sollte eine Gewissheit dafür schaffen, dass wir den Tod unseres Körpers überleben können. Das war für frühere Generationen aus einem naheliegenden Grund viel wichtiger, als es für uns heute ist. Die Menschen waren früher ständig mit dem Tod konfrontiert – durch Kriege, durch Seuchen, durch hohe Kindersterblichkeit".

Das menschliche Gehirn läßt sich nicht vollkommen entschlüsseln

Durch die Aufklärung erfuhr der Begriff Seele einen Deutungswandel. Man sprach vom Geist, entdeckte die Vernunft und den Verstand, das Bewusstsein, das den Menschen prägt. Im weiteren Verlauf der Ideen- und Philosophiegeschichte eroberten die Naturwissenschaften einen immer größeren Stellenwert. Die Naturwissenschaften machten es möglich, das Gehirn zu erforschen. Wissenschaftler waren davon überzeugt, die Schaltzentrale des Menschen komplett entschlüsseln zu können. "Man dachte, das haben wir jetzt in relativ kurzer Zeit erklärt, und dann brauchen wir keine Seele mehr", sagt Pauen, "das wurde ausdrücklich so vertreten. Es gibt damit auch keinen freien Willen mehr – usw. Wir haben bald alles verstanden". Aber Pustekuchen. Die Wissenschaft ist weit davon entfernt, das menschliche Gehirn ganz erklären zu können. Der Mensch ist und bleibt ein Geheimnis. Was er tut oder fühlt, kann niemand ganz verstehen und erklären. Und das gilt auch für den Einzelnen, der sich in seinem Urteil - auch über sich selbst - mehr und häufiger irrt, als er glaubt. Untersuchungen belegen, wie leicht der Mensch in seinem Urteil über sich und andere zu manipulieren ist. "Was man natürlich machen kann, man kann das Wissen, das wir selbst über uns haben und das Wissen, das man von außen erwerben kann, miteinander kombinieren", empfiehlt Pauen. "Damit kann man dann eine Reihe von Fehlern und von Besonderheiten entdecken. Wichtig ist, dass es kein Privileg von einer Seite gibt".

Mein Nachdenken und meine Erkenntnis über mich selbst sollte immer auch das Denken der Anderen über mich einbeziehen, meint der Philosophieprofessor. Das gilt ganz praktisch für meine täglichen Handlungsmaximen aber auch für das große und ganze aller Welterklärungsmodelle. Pauen warnt hier vor einem ideologischen Dualismus, der die Welt in Gegensätze katalogisiert und den Menschen dazu verführt, sich für eine Seite entscheiden zu müssen. Vernunft und Glauben werden zum Beispiel als miteinander unvereinbar definiert, sie sind aber gar nicht gegensätzlich, das heißt, sie schließen sich nicht aus. Jeder Ansatz, der eine Weltanschauung für absolut erklärt, wird zur Ideologie – und das gilt auch für die Naturwissenschaften. "Es ist extrem wichtig, dass wir die Grenzen auch unseres Wissens über uns selbst kennen", ist Professor Pauen überzeugt.

"Vernunft und Glaube sind nicht gegensätzlich"

Was heißt das nun für die Seele und für das religiöse Fühlen und Handeln? Es gibt Neurowissenschaftler, die meinen, ganz exakt Gehirnwindungen ausmachen zu können, in denen sie religiöses Fühlen verorten und damit natürlich auch relativieren und in Frage stellen können. "Es gibt eine weit verbreitete Vorstellung, dass wir geistige Prozesse auf Prozesse in unserem Gehirn zurückführen können und damit religiöse Gefühle in Frage stellen können", erklärt Pauen. "Ich selbst aber bin fest davon überzeugt, dass es diesen Gegensatz nicht gibt. Wenn sie religiöse Überzeugung haben, auch die religiöse Überzeugung, dass sie den Tod ihres Körpers überleben, warum sollte es Gott dann nicht möglich gewesen sein, geistige Prozesse anders zu realisieren als durch das Gehirn? Das Gehirn kann vielleicht vergehen, aber sie werden dann auf eine andere Art und Weise realisiert". Verstand, Vernunft und Naturwissenschaften schließen den Glauben an Gott nicht aus, ist Michael Pauen überzeugt.

Und die Seele – wo ist die geblieben? Gibt es die heute noch? Oder ist sie wie ein Vogel in die Vergangenheit fortgeflogen. Der Philosophieprofessor Pauen ist weit davon entfernt, sich über die Bilder der Seele aus vergangenen Zeiten zu erheben, und sie als überholt und obsolet abzutun. Er ist überzeugt, "dass die Theorien aus der zeitgenössischen Perspektive extrem rational waren. Wir müssen uns einfach klar machen, uns wird das vermutlich genauso gehen. Wenn die Menschen sich in zweihundert Jahren unsere Theorien angucken, dann werden die sich fragen, wie konnten die damals nicht erkennen, dass … . Nur – was hinter diesem DASS steht, das wissen wir heute noch nicht. Wir müssen heute nur davon ausgehen, dass es ziemlich viel gibt, was wir heute noch nicht sehen, und dessen sollten wir uns immer bewusst sein".