Michael Köhlmeiers Novelle über den heiligen Antonius

"Der Mann, der Verlorenes wiederfindet"

Er ist bis heute einer der populärsten Volkheiligen – kaum bekannt ist aber, dass der heilige Antonius auch ein großer Intellektueller war. Michael Köhlmeier erzählt von einem Mann, der kindlich glauben möchte, sein Intellekt aber hadert mit Gott.

Michael Köhlmeier / © Peter-Andreas Hassiepen
Michael Köhlmeier / © Peter-Andreas Hassiepen

"Ich kenne viele Leute, die mit Religion nichts am Hut haben, aber wenn sie ihren Schlüsselbund verloren haben, schicken sie ein Stoßgebet in den Himmel und bestätigen mir dann nachher, dass es geholfen hat", erzählt Michael Köhlmeier im domradio.de Interview. Das habe nichts mit Frömmigkeit zu tun, sondern sei eher etwas Magisches, ist der Autor überzeugt. "Der Mann, der Verlorenes wiederfindet", so heißt seine Novelle, ist der heilige Antonius von Padua. Er ist einer der bekanntesten Heiligen überhaupt, weiß Köhlmeier: "Er war ein volkstümlicher Heiliger und ist es bis heute geblieben. Das ist umso erstaunlicher, weil er eigentlich ein Intellektueller war, DER Intellektuelle seines Ordens", sagt der Autor.

"Antonius ist uns anverwandt"

Viel weiß man über den heiligen Antonius nicht. Er kam aus einer portugiesischen Adelsfamilie und war sehr gebildet, ein Intellektueller, ein kluger Kopf, ein brillanter Prediger. Sein Leben und Wirken hat uns bis heute viel zu sagen, schwärmt Köhlmeier. "Er ist uns anverwandt, denn er ist mit dem großen Wunsch beseelt, die Welt ganz gläubig und naiv zu sehen wie sein Ordensgründer Franziskus. Aber er kann es irgendwie nicht mehr. Er ist so gespalten, er ist der Intellektuelle seines Ordens gewesen." Antonius steht für den Widerstreit zwischen kindlichem Glauben und der Vernunft nach der Aufklärung, zwischen Intellekt und der Sehnsucht nach Naivität. Dieser tiefe innere Konflikt macht Antonius für den Autor so aktuell und spannend. "Es ist so ein Spiegelbild – von mir auch. In dem Augenblick, wenn ich die Frage nach Religion in meine Ratio hebe, dann verrinnt mir das zwischen den Fingern wie Sand. Aber in dem Augenblick, wo ich darüber nicht nachdenke, wenn ich zum Beispiel die Natur betrachte, dann ist es ganz da. In diesem Widerspruch war auch Antonius."

Die letzten Stunden des heiligen Antonius

Im späten Mittelalter war Antonius überaus prominent. Köhlmeier vergleicht ihn mit einem Rockstar, "wenn dreitausend Menschen kommen, um ihn predigen zu hören, diesen Antonius, der ja auch diese Sprachen können musste, denn er hat ja zu den einfachen Leuten gepredigt und da konnte er nicht in Latein predigen." Michael Köhlmeier erzählt in seiner Novelle von den letzten Stunden des heiligen Antonius. Ein letztes Mal wird er predigen, aber er ist sterbenskrank, er liegt auf einer Trage – auf einem Marktplatz. Die Sonne brennt vom Himmel. Die Menschen umringen ihn. Sie wissen und sehen, dass er sterben wird. Keiner wagt ihm zu helfen, keiner reicht ihm Wasser oder hält seine Hand. "Er ist wie ein Rockstar heute unantastbar. Alle warten darauf, dass er in den Himmel aufgenommen wird, und keiner von den Menschen damals hätte das metaphorisch oder symbolisch gesehen – und wenn man ganz still ist, hört man sogar, wie die Tür zuklappt und dann ist er oben.So haben die Menschen das damals erlebt."

In seiner letzten Stunde begegnet dem heiligen Antonius, so erzählt es Köhlmeier, sein Großvater, der ihm besonders nah war und eine Frau, die er einst liebte. "Der Großvater erscheint ihm und an seiner Hand kommt sie und sie sprechen noch einmal - nicht über die großen Dinge, nein, über Alltägliches, so wie sie gesprochen hätten, wenn sie verheiratet gewesen wären." Am Ende steht der Tod des heiligen Antonius. Doch der Tod wird im Augenblick, auch dem vergangenen und gegenwärtigen Liebesaugenblick, in einem Zwinkern aufgefangen. Die Zukunft verschwindet, alles ist da und bleibt – oder wie Köhlmeier den heiligen Antonius sagen lässt: "Der Tod steht hinter uns, deckt unseren Rücken und starrt aus seinen leeren Ringen dorthin, wohin wir starren. Alle Zukunft hat ein Ende, dort liegt die Heimat des Todes."


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