Margriet de Moor über ihren Roman ´Von Vögeln und Menschen´

Der Himmel ist gnadenlos hoch und blau

Es geht um Mord und Totschlag, um die Frage, wie kann das passieren? Margriet de Moor erzählt in ihrem neuen Roman ´Von Vögeln und Menschen´ von drei eindrucksvollen Frauen, die in Verbrechen verstrickt sind. Die Autorin beschreibt ihre Schicksale mit einer Leichtigkeit, die einen staunen und erleben läßt, wie etwas Aussergewöhnliches scheinbar alltäglich sein kann.

domradio.de im Gespräch mit Margriet De Moor / © domradio (DR)
domradio.de im Gespräch mit Margriet De Moor / © domradio ( DR )

"Es gibt die blaue Luft, es gibt die Wolken, es gibt die Vögel", erzählt Margriet de Moor im DOMRADIO.DE Interview über den Blick ihrer Romanfiguren in den Himmel. "Wenn man Gemälde vieler niederländischer Maler anschaut, dann sieht man einen schmalen Streifen, vor allem aber sieht man die große hohe Luft." Gnadenlos hoch und blau ist der Himmel in Margriet de Moors Buch: ´Von Vögeln und Menschen´.

Der Roman beginnt friedlich. Ein Mann kommt von der Nachtschicht und kriecht zu seiner Frau ins Bett. Die Ehefrau schläft selig, scheinbar selig. "Sie schläft sehr friedvoll, sehr liebenswürdig", sagt die Autorin, "obwohl sie am Tag zuvor, in der Absicht Böses zu tun, einen Riesenstreit mit einer anderen Frau gehabt hat. Sie hat diese Frau im Streit sogar getötet." Hintergrund dieses Totschlags ist eine innere Wut, ein für die Frau unzähmbarer Schrei, den sie seit ihrer Kindheit in sich trägt.

Liebe und Wut

Gewalt gibt es viel in diesem Roman und doch bleibt der Ton immer liebevoll. Margriet De Moor ist da ganz nah bei ihren Figuren, selbst wenn sie andere totschlagen. So wie Marie Lina das tut. Sie tut das aus Wut, denn die Person, die sie totschlägt, hat selbst einen Mord begangen, der lange zurückliegt und für den Marie Linas Mutter ins Gefängnis musste. Dabei hat die Mutter diesen Mord, den sie gestanden hat, nicht begangen. Marie Lina hat als Kind gesehen, wie ihre Mutter verhaftet wurde. "Natürlich hat es immer die wirkliche Mörderin gegeben", sagt Margriet de Moor, "und in dem Augenblick, wo ihr klar wird, wer das war – und das dauert lange, eh man das entdeckt – genau da versucht die Wut in ihrer Brust zu einer Klärung zu kommen." Die Wut darüber, dass ihr die Mutter mit acht Jahren weggenommen wurde, lebt wie ein versteckter Schrei in Marie Lina, als wenn da etwas ständig in ihr ist, das dann irgendwann herausbricht. "Marie Lina ist mit einer sehr liebevollen Natur geboren", beschreibt Margriet de Moor ihre Romanheldin. "Dann geschieht dieses traumatische Erlebnis in ihrer Kindheit. Die Mutter wird ihr genommen. Diese Wut in ihr, die gibt es, obwohl sie ansonsten immer die bleibt, die sie war. Das war sehr schön, darüber zu schreiben und zu zeigen, dass es so etwas gibt."

Religion und Poesie sind verwandt

Margriet De Moor erzählt in ihrem Roman die Geschichte von Marie Lina aber auch die Geschichte ihrer Mutter, die einen Mord gesteht, den sie nicht begangen hat. "Das passiert in der Wirklichkeit ziemlich regelmäßig", sagt die Autorin, "man kann das kaum verstehen. Ich kann es verstehen und versuche in dem Buch zu zeigen, wie so etwas geschehen kann." Beeindruckend erzählt Margriet De Moor, wie so etwas möglich ist, wie eine Frau in diese Notsituation kommt, einen Mord zu gestehen, den sie nicht begangen hat, wie das der Auslöser für ein Familienschicksal wird. Aber die Autorin baut das nicht als Psychogramm einer Familie auf, also als logisch-psychologisch angelegte Handlungskette. "Als Schriftstellerin würde ich das viel zu beschränkt finden", sagt sie, "diese Sachen sind sehr viel geheimnisvoller, als dass man das in einer Analyse erklären kann. So dieses schematische Erklärungsmuster: ´schwierige Kindheit`, ´Vaterkomplex´, ´schwierige Schulzeit´ oder so etwas. Da gibt es vielleicht biografische Zusammenhänge, aber das ist immer nur ein kleines Detail." Denn das Leben läßt sich nicht in psychologische Erklärungsmuster einsperren. Es sei viel rätselhafter, sagt die Autorin.

Im Roman ´Von Vögeln und Menschen´ gibt es viele Verweise auf Religion und Kirche und auf das Allerheiligste, auf Bilder aus dem Christentum, wie zum Beispiel die Pieta oder den Kampf Jakobs mit dem Engel. "Wir leben doch mit diesen Motiven und sie gehören zu uns", sagt Margriet de Moor, "denn Religion und Poesie sind sehr verwandt. Und vielleicht ist Religion Poesie. Denn beides befindet sich doch auf einer anderen Ebene."


Quelle:
DR