Madame Nielsen über ihren Roman 'Das Monster‘

'Ich tanze jeden Tag mit dem Tod'

Wir wissen sehr wenig über das Leben, sagt Madame Nielsen. In ihrem Roman 'Das Monster' versucht sie unbekannte Welten zu entdecken. Das Buch schlägt eine Brücke von den Ordensregeln mittelalterlicher Mönche zur modernen Kunstszene um Andy Warhol.

Madame Nielsen / © Sofie Amalie Klougart (KiWi)
Madame Nielsen / © Sofie Amalie Klougart ( KiWi )

Ein Interview mit der dänischen Performance-Künstlerin und Autorin Madame Nielsen ist ein besonderes Ereignis. Von ihrem Hotelzimmer aus schauen wir direkt auf den Kölner Dom. „Unfassbar, mystisch, schön, grauenhaft, furchterregend“, nennt sie die Kathedrale. Der Anblick dieses Wunderbaus hat das „Ruhige-In-Uns-Hineinlauschen, in das, was wir noch nicht wissen,“ beflügelt, schreibt sie mir nach dem Interview. Denn das, was wir wissen, sei nicht das Interessante, sondern das, was wir in unserem Leben noch nicht wissen, so hat sie schon im Gespräch im Hotel die spannende Versuchung beschrieben, neue Gedankenräume zu betreten.  

Sich absichtlos in New York verirren

Um mehr darüber herauszufinden, was wir nicht wissen, schickt Madame Nielsen ihren Romanhelden in ihrem neuen Roman 'Das Monster‘ nach New York. Dort streift er durch die Stadt, ziellos, absichtslos und obwohl es in Manhatten unmöglich scheint, sich zu verirren, weil die Stadt wie ein Schachbrett aufgebaut ist, verirrt sich der Romanheld, weil sich die Welt um ihn herum ständig verwandelt. Am Tage spielt er bei der legendären Performancetruppe 'The Wooster Group‘ mit, in der Nacht gerät er in die Fänge mysteriöser Zwillinge, die ihn in eine USA-Albtraumwelt entführen.   

Mittelalterliche Ordensregeln und Andy Warhol

Und dann findet er, ohne danach gesucht zu haben, in einem Buchladen zwei Bücher, die ihn gleich faszinieren. Das sind einmal die Tagebücher von Pop-Art Künstler Andy Warhol und ein Buch über mittelalterliche Ordensregeln, über das Ideal der mittelalterlichen Mönche, ganz konsequent den Alltag mit Gebet und Klausur auszufüllen. „In diesem Idealleben versuchten die Mönche sich selbst von jeder Persönlichkeit zu befreien“, sagt Madame Nielsen, „ständig, wenn sie nicht schliefen, haben sie gebetet, das heißt, es gab keinen Platz für Gedanken, sondern nur Litaneien“.

Rembrandt Werkstatt und Warhol 'factory'

Das mittelalterliche Mönchsideal, das eigene Ego hintanzustellen und ganz in der betenden Gemeinschaft mit Gott und den anderen Mönchen aufzugehen, sei sehr nah an den Ideen von Andy Warhol, sagt Madame Nielsen. „Er hat in seiner Kunst auch versucht, diesen Personenkult aus der Kunst zu bringen und nur Reproduktionen zu machen, so dass man seine Signatur überhaupt nicht sehen konnte“. Das sei auch mit dem Arbeitsstil von Rembrandt vergleichbar, denn da wisse man auch nicht, ob ein Bild aus der Rembrandt Werkstatt stamme, oder tatsächlich von einem einzelnen körperlichen Genie – denn vielleicht sei Rembrandt nur der Name einer Werkstatt gewesen. Andy Warhol nennt seine Studios in New York 'factory‘ und sagt von sich: 'Ich will eine Maschine sein‘. Nicht das Ego steht hier im Mittelpunkt, sondern die Wiederholung des Immergleichen. So hätte er ebenso sagen können: 'Ich will ein Mönch sein'.

Die Ausbeutung des Planenten durch das Ego

Gemeinschaft sei wichtiger als Egozentrik, sagt Madame Nielsen, für die mittelalterlichen Mönche und für Andy Warhol in seiner 'factory‘. „In unserer Zeit ist die Gemeinschaft fast verschwunden. Die Bestseller auf dem Buchmarkt handeln nur davon, wie ich mich optimieren kann, nicht, wie kann ich mit anderen Menschen zusammenarbeiten“, sagt die Autorin. Nur in den großen Religionen gebe es noch den Gedanken von Gemeinschaft, das sei so ein Überbleibsel von Gemeinschaft. Diese Ich-Optimierung, der Tollste, Schönste, Größte, Stärkte, Jüngste zu sein, die sich auch auf den sozialen Netzwerken wie Facebook spiegele, habe auch für die Natur und unseren Planeten ganz konkrete Konsequenzen, ist Madame Nielsen überzeugt. „Diese Ich-Optimierung bedeutet, dass ich alle und alles andere bis zum Anschlag ausnutzen und ausbeuten muss, das heißt auch die Tiere, die Mitmenschen, den Planeten. Ich muss möglichst viel Erfolg haben, dann kann die Welt untergehen“.

Der Tod ist eine Göre

Gegen den Ego-Kult hilft es auch, sich der eigenen Sterblichkeit bewusst zu werden und damit zu erkennen, dass ewige Schönheit und ewige Fitness eine Illusion ist. „Die meisten Menschen versuchen heute ihr Leben so zu leben, als ob es keinen Tod gebe - deshalb muss man ja auch seinen Körper jeden Tag im Fitnesscenter optimieren – und da hört man dann die Lebenszeituhr laut ticken: Bum Bum Bum, das sind die Geräusche im Fitnesscenter, das ist das Schlagen der Lebenszeituhr“, warnt die Autorin. Den Tod als Ansporn zu sehen, um gut und wirklich jeden Tag zu leben, das empfiehlt Madame Nielsen. Sie sagt: „Ich tanze jeden Tag mit dem Tod, mit dieser Göre, die ein wenig so wie ich aussieht – denn ich möchte nicht so tun, als sei der Tod nicht da, denn der Tod ist da und ich tanze mit ihm oder mit ihr“.


Madame Nielsen / © Sofie Amalie Klougart (KiWi)
Madame Nielsen / © Sofie Amalie Klougart ( KiWi )
Quelle:
DR