Kurt Steinmann hat die "Ilias" neu ins Deutsche übertragen

Am Ende verbindet der gemeinsame Schmerz

"Die Nöte, Freuden und Leiden des Menschen bleiben gleich", sagt Kurt Steinmann über die Aktualität der Ilias, die 2700 Jahre alt ist. Der Schweizer Übersetzer hat – nach der Oyssee – jetzt auch Homers Ilias neu ins Deutsche übertragen. Im domradio.de Interview erzählt er, was ihn an der Ilias fasziniert und warum er die ursprüngliche Versform beibehalten hat.

Kurt Steinmann / © privat (Manesse)
Kurt Steinmann / © privat ( Manesse )

Die Ilias ist das erste überlieferte Buch der europäischen Weltliteratur. Es ist ein Kriegsepos, das von der zehnjährigen Belagerung der kleinasiatischen Stadt Troja durch die Griechen erzählt, die die entführte Helena zurückholen wollen. "Neben den sehr vielen Schlachtszenen gibt es großartig menschlich anrührende Szenen, vor allem der Abschied Hectors von Andromache", schwärmt Steinmann, "das ist vorweggenommen jeder Abschied eines Kriegers, der in den Kampf zieht".

Eine andere Szene, von der Kurt Steinmann begeistert erzählt, ist die Geschichte des ersten Kriegsdienstverweigerers der Weltgeschichte. Persites hieß der. "Dieser Persites, der in der Ilias "Frechling" genannt wird, tritt ganz allein der Masse entgegen. Er ruft alle Soldaten, die es nicht wagen dürfen, dazu auf, nach Hause zu gehen. Es hat keinen Sinn mehr zu kämpfen. Wozu kämpfen wir?, fragt er. Um denen den Rachen vollzustopfen – mit Gütern, mit Goldschätzen, mit Frauen. Nein, wir gehen nach Hause". Kurt Steinmann übersetzt die drastischen Worte des leidenschaftlichem "Frechlings" so bildkräftig, dass man auch heute noch die Wut dieses enttäuschten Soldaten hautnah spüren kann: "´Schlappschwänze ihr, feige Säcke, Weiber, nicht Männer Achaias´, so pöbelt er gegen die Kommandanten. Einer allein in einem riesigen Heer wagt es. Er muss dafür büßen und wird geschlagen und gedemütigt", erzählt Steinmann.

Den Urklassiker der Weltliteratur als Antikriegsepos lesen

Am Ende des Kriegs um Troja, der zehn Jahre dauert, sind die Krieger müde und erschöpft. Kurt Steinmann fühlte sich bei der Übersetzung des altgriechischen Textes an den aktuellen Krieg in Syrien erinnert. "Was wird denn am Ende nach diesen elenden Katastrophen in Syrien sein, wenn alles erschöpft und erledigt ist?", fragt Steinmann. "Dann gibt es eine Konferenz und es wird irgendeine Lösung gefunden, und 400tausend Menschen haben ihr Leben gelassen, um diese Lösung zu erzielen, die man ohne Krieg hätte finden können".

Am Ende des brutalen Kriegsepos, am Ende der Ilias steht eine Versöhnung - zwischen dem Berserker Achilleus und Priamos. "Die beiden begegnen sich im Leid. Es ist eine Leidgemeinschaft", fasst Steinmann das Ende zusammen. "Menschen können sich in der Gemeinschaft des Schmerzes finden. Achilleus findet sich bereit, den toten Hector auszuliefern. Der alte Priamos fährt dann zurück mit der Leiche seines Sohnes, und die wird am Ende des 24. Buches bestattet – so endet das Buch". Die Ilias zeigt die brutalen Verheerungen, die der Krieg anrichtet. Man kann diesen Urklassiker der Weltliteratur heute auch als Antikriegsepos lesen. Der ehemalige Griechisch- und Lateinlehrer Kurt Steinmann ist davon überzeugt, dass die Werke Homers auch heute noch für junge Menschen packend und spannend sind. "Wenn wir den jungen Menschen vermitteln können, dass da nicht alter Quark drinsteht, sondern etwas, das mich angeht, wenn ich es näher betrachte, dann lassen sich auch junge Menschen davon begeistern".


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