Karlheinz Koinegg über sein Hörspiel "Lauter liebe Worte"

Erlösendes Sprechen - Interviews über den Selbstmord des Vaters

"Mein Vater ist aus dem Schweigen, das wie ein zweites Begräbnis war, erlöst worden", sagt Karlheinz Koinegg. In seiner Familie wurde der Selbstmord seines Vaters totgeschwiegen. Der Autor hat in Interviews seine Angehörigen zum Tod des Vaters befragt und daraus eine Hörspielcollage gemacht. "Lauter liebe Worte" wird am 12. und 13. April auf WDR 3 ausgestrahlt.

"Lauter liebe Worte" Erinnerungen an Johann Koinegg / © privat (privat)
"Lauter liebe Worte" Erinnerungen an Johann Koinegg / © privat ( privat )

"Der Selbstmord meines Vaters hat meinen Bruder, meine Schwester und mich natürlich ein leben lang beschäftigt", erzählt Koinegg, "aber immer als Leerstelle, als schwarzes Loch, über das auch bei Nachfragen nichts erzählt wurde". Karlheinz Koinegg hat das Schweigen gebrochen. Er war neun Jahre alt, als sein Vater Johann Koinegg sich das Leben nahm. Vierzig Jahre später hat er nun seine Angehörigen auf den Selbstmord angesprochen. Er hat sie um Interviews gebeten, aus denen er ein Hörspiel gemacht hat. Alle haben ganz offen geantwortet. "Ich habe festgestellt, dass eigentlich für alle das Schweigen die anstrengendere Übung gewesen ist - über die vierzig Jahre", sagt Koinegg. "Das Sprechen hat etwas Erlösendes, auch etwas Herzerwärmendes, indem plötzlich wieder ein Kontakt zwischen den Tanten und Onkels und mir fließen konnte. Das war eine sehr bewegende und schöne Erfahrung".

Entsetzen und hilfloses Schweigen

Die Geschichte seines Vaters, Johann Koinegg, ist auch eine typische Nachkriegsgeschichte. Johann war noch ein Kind, als sein Vater in den Krieg musste und dann in Russland als vermisst galt. "Dann nimmt sich meine Großmutter, also seine Mutter, einen anderen Mann, ohne zu wissen, ob ihr Mann nicht vielleicht doch zurückkehren wird", erzählt Koinegg, "das hat meinen Vater, der damals zwölf Jahre alt war, zutiefst erschüttert und auch zu schlimmen schizophrenen Schüben geführt und Phantasien, in denen er seinen Vater sieht und mit ihm spricht. Obwohl dann 1957, als die letzten Kriegsgefangenen zurückkamen, klar war, dass sein Vater in Russland geblieben ist". Als Johann Koinegg das erfährt, geht er in den Keller und versucht sich mit einer Axt das Leben zu nehmen. Als junger Mann verliebt sich Johann Koinegg. Alles ist für die Hochzeit vorbereitet, muss aber drei Tage vorher abgesagt werden. "Das war für mich auch eine sehr verstörende Geschichte, die ich jetzt erfahren habe", sagt Koinegg, "mein Vater hatte ein, zwei Tage vorher einen Schub bekommen und war auf dem Marktplatz als Prediger aufgetreten und hatte behauptet, er sei der liebe Gott". Die Liebe seiner Eltern ist stärker als die Bedrohung durch die psychische Krankheit. Gegen den Willen der Familie findet die Hochzeit später dann doch statt. Es folgen dreizehn scheinbar glückliche Familienjahre, in denen Karlheinz und seine beiden Geschwister aufwachsen. Dann, nach einem Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik, nimmt sich Johann Koinegg das Leben. Da ist Karlheinz neun Jahre alt. "Für mich war weniger die Tatsache entsetzlich, dass mein Vater gestorben ist, so seltsam das klingt, sondern dass es so beharrlich verschwiegen wurde und ich in diesem Schweigen die Hilflosigkeit und das Entsetzen meiner gesamten Familie wie eingefroren erlebt habe", sagt Koinegg, "das war das Entscheidende und nicht die Tatsache an sich".

Der Zusammenhang zwischen den Lebenden und den Toten

Karlheinz Koinegg erfährt als Kind, wie gleich zwei Tabus der damaligen Zeit, sein Leben erschüttern: Selbstmord und psychische Erkrankung. Depressionen oder Schizophrenien überforderten die Menschen. Auch darüber erfährt man viel, wenn sich die Zeitzeugen in der Hörspielcollage erinnern. Heute spricht man offener darüber – bei aller Ratlosigkeit, die bei diesen Erkrankungen wohl immer bleibt. "Ein Teil unserer Bemühungen, das irgendwie fassbar, erklärbar und deutbar zu machen, ist unsere eigene Angst vor dieser heiligen Krankheit", vermutet Koinegg. Er hat, kurz bevor er die Interviews mit seinen Angehörigen über den Selbstmord seines Vaters aufgezeichnet hat, von seinem Vater geträumt. In dem Traum hat der Vater ihn bestärkt, das Schweigen zu brechen und über die psychische Erkrankung und den Selbstmord offen zu sprechen: "Ich glaube, dass er sich sehr darüber freut, weil auch er aus dem Schweigen erlöst worden ist", sagt Koinegg und: "Der Zusammenhang zwischen den Lebenden und den Toten, das füreinander bitten und beten ist ein unglaublich schöner Gedanke, der diese Trennung und Tode weniger schrecklich macht und etwas sehr Tröstliches hat".


Adele und Johann Koinegg / © privat (privat)
Adele und Johann Koinegg / © privat ( privat )

Adele und Johann Koinegg / © privat (privat)
Adele und Johann Koinegg / © privat ( privat )