Karen Duve über ihren Roman 'Fräulein Nettes kurzer Sommer'

Die Liebestragödie der Droste-Hülshoff

"Es war damals richtig peinlich für die Familie, wenn man als Frau Bücher veröffentlicht hat", sagt Karen Duve im DOMRADIO.DE Interview. In ihrem Roman 'Fräulein Nettes kurzer Sommer' erzählt sie von der Liebes- und Lebenskatastrophe der jungen Annette von Droste-Hülshoff, die von den Männern gemobbt und der in einer Liebesintrige übel mitgespielt wurde.

Karen Duve / © Thomas Müller
Karen Duve / © Thomas Müller

"Wenn man ein adeliges Fräulein aus dem Münsterland war, dann saß man eben am Kamin und strickte im Winter Strümpfe und im Sommer stickte man etwas Feineres", beschreibt Karen Duve das vorbestimmte Leben der jungen Annette von Droste-Hülshoff. Das adelige Fräulein hatte brav zu sein, eine fromme, stille, dienende Frau – und nicht Schriftstellerin. Aber Annette wollte nicht so sein. Sie war aufmüpfig, konnte auch nerven, hatte ein loses Mundwerk. "Wenn wir sie heute erleben würden, dann würden wir sagen, ach ja, die ist aber nett, vielleicht ein bisschen still. Aber für die damaligen Verhältnisse war es eben ganz einfach, eine Nervensäge zu sein", sagt Karen Duve über die Droste. "Es reichte schon, dass man sich überhaupt in die Gespräche der Männer einmischte. Es reichte, dass die Stimme nicht hell genug war. Frauen mussten wie Vögelchen zwitschern. Es reichte, dass man unpassende Themen anschnitt. Wobei alles, was irgendwie relevant war, sofort gleich auch unpassend war." Das sei ein ganz enges Korsett gewesen, in das die Frauen damals gesperrt waren, sagt Duve.

Die Familie hat ihr übel mitgespielt

Dieses Korsett galt natürlich auch für die Liebesbeziehungen. Die Ehe wurde aus Vernunftgründen geschlossen. Ein adeliges katholisches Fräulein durfte, weiß Gott, nicht eine Beziehung mit einem verarmten evangelischen Studenten eingehen. Das tut Annette von Droste-Hülshoff aber. Sie verliebt sich in den jungen Dichter Heinrich Straube und als wenn das nicht schon schlimm genug wäre, drängt sich noch ein zweiter Mann in die Geschichte, der sich wiederum in Annette verliebt. "Das war eine Geschichte, die sie in ihrer Jugend erlebt hat", erzählt Duve, "wo sie mit zwei Männern gleichzeitig irgendetwas hatte. Wo ihr aber ganz übel mitgespielt wurde. Das hatte eine tiefe traurige Dramatik und hatte gleichzeitig etwas von dem, was man heute Mobbing nennen würde. Die Familie hat ihr dann auch ganz übel mitgespielt und war gar nicht auf ihrer Seite, so dass ich dachte, Mensch, wie gemein das ist. Da kam wieder so mein Gerechtigkeitsgefühl durch und ich dachte, da muss ich drüber schreiben", sagt Karen Duve.

Nationalismus und Hass im frühen 19. Jahrhundert

Dann begann die Autorin zu recherchieren. Dabei taten sich eine Welt von Originalzeugnissen auf. Schließlich war das ein prominenter Künstlerkreis, in dem die Droste und ihre Liebhaber verkehrten. Die Gebrüder Grimm, Heinrich Heine, Clemens Brentano – um nur einige zu nennen. "Ich hatte so viele Quellen, wie ich niemals erwartet hätte", schwärmt die Autorin, "das war fast so, als wenn man irgendwie bei Facebook über jemanden alles nachlesen kann, wo man wirklich auch alles findet. Die haben damals täglich mehrere Briefe geschrieben und die haben ja alle Tagebücher geführt."

So läßt Karen Duve eine Zeit lebendig werden, die längst vergangen ist und einem doch ganz nah kommt. Das beginnende 19. Jahrhundert war eine Übergangszeit zwischen alter Ständeordnung und neuer bürgerlicher Welt. Viele Parallelen gibt es da zur Zeitenwende heute. Auch damals wurde die Welt zunehmend komplexer und machte den Menschen auch Angst. Sie flüchteten sich in abgrenzenden Nationalismus und in die engen Kammern geschlossener aggressiv dogmatisierender Milieus. 'Ach Gott', sagt Heinrich Straube in Duves Roman, 'warum sind die Burschen nur so voller Hass.' – 'Tja', sagt Heine, 'sie greinen von ihrer Liebe zu Deutschland, aber eigentlich geht es ihnen bloß darum, alles Fremde hassen zu dürfen. Und wenn sie dir mit christlich-abendländischer Kultur kommen, dann pochen sie damit bloß auf ihr Recht, jeden Quatsch glauben zu dürfen.' Das klingt wie das Programm der Pegida, ist aber schon Anfang des 19. Jahrhunderts eine weitverbreitete Stimmung im Land.

Eingesperrt in eine finsteren Zeit

"Menschen kommen nicht damit zurecht, wenn sich etwas stark ändert", deutet Karen Duve die Umbruchzeit damals wie heute. "Besonders wenn es ihnen irgendwie aufgepfropft wird, egal ob das zu ihrem Vorteil oder Nachteil ist. In dem Moment, wo sie es nicht selbst haben entscheiden können – oder sie meinen, das sei jetzt zu komplex oder zu schnell gekommen, werden sie sich immer dagegen wehren und selbst ihre eigenen Vorteile nicht sehen."

Auch die damals praktizierte katholische oder evangelische Religiosität wirkt nicht befreiend. "Wir befinden uns ja auch in der Zeit des sich immer stärker verbreitenden Pietismus", erklärt Duve. "Religion wurde damals benutzt, um Menschen Schuldgefühle einzuimpfen. Schon den Kindern wurde vermittelt, sie seien aufgrund der Erbsünde schlecht und die Schlechtigkeit müßte ihnen erst einmal ausgeprügelt werden, um sie zu halbwegs erträglichen Erwachsenen zu machen. Also das war schon eine finstere Zeit, die die Menschen einsperren konnte."

Auch Annette von Droste-Hülshoff fühlt sich schuldig und für ihr Liebesscheitern allein verantwortlich. Karen Duve erzählt die aufwühlende Geschichte der jungen Annette mit großer Liebe zum historischen Detail, gnadenlos entlarvend und bis zur letzten Seite packend. Sie erzählt die Geschichte einer Frau, die sich nicht anpassen will, die aber nicht ausbrechen kann, der von den Männern übel mitgespielt wird, die liebt und scheitert und dann doch eine weltbekannte Schriftstellerin wird, denn "zwischen all diesen durchaus begabten Menschen aus ihrer Familie war sie halt das einzige Genie", sagt Duve. "Das ist für die anderen dann schwer auszuhalten. Und wenn es dann auch noch eine Frau ist, dann ist das für die Männer doppelt schwer auszuhalten."


Annette von Droste Hülshoff / © Gemeinfrei
Annette von Droste Hülshoff / © Gemeinfrei
Quelle:
DR