Jonas Lüscher über seinen Roman "Kraft"

Wenn europäischer Pessimismus auf Bubenträume im Silicon Valley trifft

"Das sind oft unreflektierte Jungsphantasien. Man will ewig leben, man möchte fliegende Autos haben – das sind Bubenträume", erzählt Jonas Lüscher über die Visionen der Vordenker im Silicon Valley. Er selbst hat neun Monate in Kalifornien gelebt. In seinem Roman "Kraft" läßt er europäischen Pessimismus auf kalifornischen Zukunfts- und Techno-Optimismus treffen.

Jonas Lüscher / © Ekko von Schwichow (C.H.Beck)
Jonas Lüscher / © Ekko von Schwichow ( C.H.Beck )

"Richard Kraft ist ein Mann einer bestimmten eitlen Generation", stellt Jonas Lüscher im domradio.de Interview seinen Romanhelden vor. Der Professor für Rhetorik in Tübingen hat eine gesicherte Stelle, hat Frau und Kinder und doch ist er in allem gescheitert. Die Ehe ist kaputt und sein Leben besteht nur noch aus Überdruss und Pessimismus – ein Narziss, der sich dem Egoismus komplett unterwirft. "Das ist ein ständiges Kreise um sich selbst", sagt Lüscher über Kraft. "Auch seine Frauenbeziehungen scheitern immer daran, dass er die Frauen nur als Spiegel seiner selbst benutzt, weil er nur etwas über sich herausfinden möchte. Ihm ist das Gegenüber im Grunde wurscht. Er verharrt in seiner unglaublichen Eitelkeit".

Ein Roman über das Scheitern

Dazu plagen Kraft Geldsorgen. Da sind die Alimente für seine Kinder aus vorherigen Beziehungen, eine erneute Scheidung ist für ihn finanziell nicht machbar, er fühlt sich in seiner Ehe gefangen und wünscht sich seine Freiheit zurück. Als der Rhetorik Professor von einem Internetmogul aus dem Silicon Valley hört, der ein Preisausschreiben mit einer Millionen Dollar Preisgeld ausgelobt hat, bricht er nach Kalifornien auf. Die Preisfrage lautet: warum ist alles, was ist, gut. "Ich wollte einen Roman über das Scheitern schreiben", sagt Lüscher. Und sein Held scheitert krachend.

Lustig und lächerlich sind aber auch die Visionen der Vordenker im Silicon Valley, von denen der Autor erzählt. Jonas Lüscher weiß, wovon er da schreibt, denn er selbst war neun Monate in Kalifornien – er hatte dort ein Stipendium an der Stanford University. "Mich hat dieser Ort fasziniert, manchmal begeistert, oft auch sehr irritiert und auch abgestoßen", erzählt Lüscher. "Dieser Zukunfts- und Fortschrittsoptimismus, der mit einer so unglaublichen Selbstverständlichkeit und Naivität daherkommt. Und dann auch zu sehen, dass das auch so eine unglaubliche Blase ist, dass man da in diesem seltsamen Tal lebt, was noch nicht einmal wirklich ein Tal ist, und da seine Zukunftsvisionen vor sich hin verfolgt und das Gefühl hat, man würde jetzt für die ganze Welt etwas tun – obschon die wichtigen Fragen so wahnsinnig weit weg sind".

Die Sterblichkeit ist bald überwunden - glauben Vordenker im Silicon Valley

Das durchschaut natürlich auch der gescheiterte Professor aus der alten Universität Tübingen. Aber er kann diesen wüsten Zukunftsphantasien nicht Paroli bieten. Es verschlägt ihm eher die Sprache, mit welcher Naivität im Silicon Valley über die Zukunft nachgedacht wird. "Da fallen dann ernstgemeinte Sätze wie: Die Sterblichkeit ist auch nichts anderes als die Kinderlähmung, das ist wie eine Krankheit, die man überwinden kann". Richard Kraft  wirkt unter diesen Buben mit ihren Phantasien im Silicon Valley kraftlos. Er kann ihnen nichts entgegensetzen, weil er in seiner Eitelkeit verstrickt bleibt. Jonas Lüscher erzählt in seinem faszinierend spannenden und auch komischen Roman von den Sackgassen, in denen wir uns zurzeit verstricken – im alten Europa und im Silicon Valley mit seinen euphorischen Zukunftsspinnereien.


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