Jakob Hein über sein Buch "Die Orient-Mission des Leutnant Stern"

"Deutschland gehört zum Islam"

Im ersten Weltkrieg plant das christliche Deutschland einen Aufstand aller Muslime in Gang zu setzen. Damit wollten die Deutschen ihre Feinde, die Engländer und Franzosen, in ihren Kolonien schwächen. Der Autor Jakob Hein erzählt von diesem Plan in seinem neuen Buch "Die Orient-Mission des Leutnant Stern".

Jakob Hein / © Susanne Schleyer (Galiani Verlag)

"Wir wurden von Professor Dieter Vieweger durch Jerusalem geführt und der sagte so ganz belläufig, das Verhältnis von Deutschland zum Islam sei ja über Jahrhunderte romantisch positiv gewesen." Ein Satz, der Jakob Hein stutzen ließ. Der Autor bat um eine genauere Erklärung: "Dann hat er mir so einige Hinweise gegeben, und denen bin ich gefolgt und dabei bin ich auf diese Geschichte gestoßen". Die Geschichte, die Jakob Hein in seinem neuen Buch erzählt, spielt im ersten Weltkrieg. Die deutsche Militärführung plant, den Sultan von Konstantinopel dazu zu bringen, den Dschihad, die weltweite muslimische Revolution auszurufen. "Dann würden sich die Muslime in den britischen und französischen Kolonien erheben und die Briten und Franzosen hätten ganz andere Sorgen als den Krieg in Europa. So könnten Deutschland und Österreich-Ungarn den ersten Weltkrieg gewinnen", fasst Jakob Hein den Militärplan zusammen.

Die erste Moschee in Deutschland

Dazu kam, dass der deutsche Kaiser ein großer Freund des Islam war. Er soll sogar seine Konversion geplant haben, hat Jakob Hein recherchiert. Mit dem Sultan von Konstantinopel war er befreundet und der sollte nun auf dem Taksim-Platz in Konstantinopel den Dschihad ausrufen. Die Gunst des Sultan wollten die Deutschen auch dadurch gewinnen, dass sie ihm muslimische Kriegsgefangene feierlich übergeben wollten. Der Hintergrund: Im ersten Weltkrieg verschleppten Engländer und Franzosen aus ihren Kolonien muslimische Männer, um ihre Heere zu verstärken. So gab es unter den Kriegsgefangenen der deutschen Armee auch muslimische Soldaten, die von den Deutschen bevorzugt behandelt wurden – in einem für sie extra eingerichteten Gefangenenlager in der Nähe von Berlin. Für sie wurde auch die erste deutsche Moschee gebaut. "Es ist kaum zu glauben, aber historisch belegt", erzählt Jakob Hein, "Deutschland behandelte also muslimische Kriegsgefangene prinzipiell besser, die bekamen Kaffee und Tabak, durften Ausflüge nach Berlin machen. Und die höchste Kaste im ganzen Kriegsgefangenenlager waren die Dschihadisten, die hießen auch so".

Mit einer falschen Zirkustruppe durch Europa

Nun kommt Leutnant Edgar Stern ins Spiel. Er soll die muslimischen Kriegsgefangenen quer durch Europa nach Konstantinopel schmuggeln, damit sie dort feierlich frei gelassen werden können, um die Gunst des Sultans zu gewinnen, der dann den Dschihad ausrufen soll. Über mehrere feindliche Linien müssen die Muslime reisen – eine echte Herausforderung für Leutnant Stern. "Er kommt auf den guten Gedanken, sie als Zirkusleute zu verkleiden", erzählt Hein. "Er sagt, er sei der Zirkusdirektor und habe Pferde- und Trapezkünstler dabei, damit auf den Bahnhöfen nicht deren Artistik überprüft werden kann". Von dieser Fahrt der obskuren Zirkustruppe quer durch Europa erzählt Jakob Hein in seinem historisch belegten Roman. Die Truppe kommt auch in Konstantinopel an und der Sultan ruft dann den Dschihad aus. "Allerdings passiert danach nicht der Dschihad", erklärt Jakob Hein", sondern die anti-armenischen Ausschreitungen in Konstantinopel nehmen zu. Die Kirchen brennen und man kann wirklich sagen, dass es dafür auch eine ganz starke deutsche Mitverantwortung gibt, von der ich in den letzten Jahren sehr wenig gehört habe".

Deutschland gehört zum Islam

Überhaupt erfährt man viel Neues in dem Roman von Jakob Hein, nicht nur von der Mitschuld der Deutschen am armenischen Völkermord, sondern auch davon, dass die Idee des muslimischen Dschihad von Deutschland gepuscht wurde. "Danach kam der Dschihad Gedanke in der muslimischen Welt wieder stärker auf und ist heute das politische Problem, über das wir sprechen". So erzählt Jakob Hein eine Geschichte, die bis in unsere Zeit hineinwirkt. Er erzählt davon, wie Deutschland den Islam romantisch verklärte, so wie wir es heute mit dem Buddhismus tun, ohne die Gewalt der Buddhisten gegen die Rohingya wahrzunehmen, und wie Deutschland im ersten Weltkrieg plante, den Aufstand aller Muslime in Gang zu setzen. Den Seehofer-Satz, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, müsse man eigentlich umdrehen, sagt Hein. "Auf jeden Fall gehört Deutschland zum Islam. Ob wir das nun wollen oder nicht. Deutschland ist ein ganz, ganz wichtiges Kapitel in der Geschichte des Islam".


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