Ingo Schulze über seinen Schelm ´Peter Holtz´

Die Versprechungen der Welt auf dem Prüfstand

"Man hat in ihm so einen Bundesgenossen, der ganz ähnliche Fragen stellt, wie man selbst." Ingo Schulze hat einen Romanhelden erfunden, der die Versprechungen unserer Gesellschaftsformen auf ihre Alltagstauglichkeit prüft. "Peter Holtz: Sein glückliches Leben von ihm selbst erzählt", heißt der Schelmenroman.

 (DR)

Peter Holtz fragt, warum es Frieden, Freiheit und Glück nicht für alle Menschen gibt, wenn die Welt doch genug Ressourcen hat. Wir könnten doch alle genug haben, wenn wir teilen würden – oder? Gute, große Fragen sind das, die der Romanheld von Ingo Schulze stellt. "Er nimmt die Gesellschaft wirklich beim Wort und dadurch entsteht eine Diskrepanz zum Alltagstun", erklärt Ingo Schulze. "Die Gesellschaft wird mit ihrem eigentlichen Anspruch konfrontiert. Man nimmt ja auch gerne für sich in Anspruch, dass man die Dinge tatsächlich eins zu eins nehmen möchte. Dann heißt es aber sofort, das sei halt eine Sonntagsrede. Holtz nimmt das, was sonst nur in Sonntagsreden auftaucht, im Alltag ernst". Das Ernstnehmen der gesellschaftlichen Ansprüche fängt bei Peter Holtz schon früh an. Er wächst in der DDR auf und nimmt den Kommunismus beim Wort. Die soziale Gleichheit und Freiheit aller ist für ihn ein Versprechen, das er im Alltag eingelöst sehen will. Ingo Schulze versteht seinen Helden sehr gut, er selbst ist in Dresden, in der DDR aufgewachsen. "Das hat durchaus eine persönliche Parallele", erzählt der Autor. "Uns hat man auch in der Schule gesagt, wir wissen nicht genau wann, aber vielleicht, wenn ihr Rentner werdet, könnte es sein, dass dann schon der Kommunismus da ist. Und mit dieser Heilserwartung lebt auch Peter Holtz."

Geld steht dem Glück von Peter Holtz im Weg

Doch als der Romanheld merkt, dass die gesellschaftlichen Ansprüche nur wenig mit der Realität in der DDR zu tun haben, wird er evangelisch und kommunistischer Christ. "Er wird in den Jugendgottesdient mitgenommen", beschreibt Schulze den Wandel seines Romanhelden. "Der Pfarrer verwendet sogar die FDJ-Lieder, ´Sag mir, wo du stehst´, ´Zeig mir dein Gesicht´, ´Sag mir, wer du bist´. Dieser Pfarrer ist auch sehr gesellschaftskritisch und spricht auch über das Mitläufertum und Duckmäusertum. Da fühlt Holtz sich ganz unmittelbar angesprochen." Doch dann kommt die Wende und Peter Holtz verliert seinen Glauben. Er erlebt, wie das Geld die Menschen korrumpiert - obwohl er selbst zu unglaublichem Reichtum kommt und ein Immobilienmogul wird. Er merkt aber, dass ihm all das Geld im Leben nichts bringt und sogar seinem Glück im Weg steht. "Er wird von Tag zu Tag dicker und unzufriedener, weil er erlebt, dass das Gute, das er mit dem Geld tun will, nicht hinhaut", sagt Schulze. "Die Häuser, die er mit dem Geld saniert, da wohnen plötzlich andere drin. Er versucht einer Prostituierten zu helfen und gründet dadurch versehentlich ein Bordell. Das geht auch nicht gut. Seinen Freunden versucht er Geld zu schenken, was aber der Freundschaft nicht guttut – und, und, und. Er merkt, dass sich seine Bestrebungen immer ins Gegenteil verkehren. Aber er bekommt mehr und mehr Geld, er zieht das Geld magisch an."

Das Kapital entschärfen - Holtz verbrennt vor der Weltzeituhr Tausender

 Das Geld steht dem Millionär Peter Holtz im Weg, diese unheimlichen Kapitalflüsse, die sich verselbstständigen. Hier erkennt er, dass es nur eine Lösung gibt: Er muss das Geld entschärfen. Er setzt sich auf den Alexanderplatz vor die Weltzeituhr und verbrennt echte Tausendmarkscheine. "Er sagt, ich habe jetzt den wunden Punkt unserer Gesellschaft entdeckt, der aber vielleicht auch der Punkt ist, an dem sie kuriert werden kann", sagt Ingo Schulze und auf die Frage, ob Peter Holtz damit nicht recht hat und recht tut, antwortet der Autor: "Meine Lösung wäre das jetzt nicht. Ich bin aber der Meinung, dass wir ganz grundsätzlich über dieses Geld reden müssen. Es wäre unsere Aufgabe als Gesellschaft zu sagen, da müssen wir ganz andere, sehr viel strengere Regeln aufstellen – auch um uns zu schützen, unser Gemeinwohl zu schützen." So hat der Roman von Ingo Schulze auch eine politische Aussage. Peter Holtz prüft Utopien auf ihre Alltagstauglichkeit. Das tut er unterhaltsam und oft so witzig, dass man beim Lesen laut lachen muss. Seine Lösung, das Geld zu entschärfen, in dem er es verbrennt, funktioniert so sicher nicht, weist aber auf die mit den globalen Kapitalflüssen, den Kredit- und Handelsverträgen verbundene Ungerechtigkeit in der Welt hin. "Die Gerechtigkeit im eigenen Land hängt mit der Gerechtigkeit in der Welt zusammen", ist Ingo Schulze überzeugt, "und Peter Holtz ist für mich noch einmal ein Versuch, die Selbstverständlichkeiten der Welt zu hinterfragen und damit natürlich auch in Frage zu stellen. Das ist die Hoffnung, die ich mit dem Buch verbunden habe."


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