Husch Josten über ihren Roman 'Land sehen'

'Ich bin jetzt Priester'

Ausgerechnet Priester! Jahrzehntelang war sein Patenonkel Georg verschwunden, dieser lebenshungrige Mann, der nie etwas ausgelassen hat. Und nun ist er zurück: Als Mitglied eines umstrittenen katholischen Ordens. Husch Josten erzählt in ihrem Roman 'Land sehen' von der Begegnung zwischen zwei Menschen, die sich sehr nah sind aber in verschiedenen Welten leben.

 (DR)

"Zwei ganz unterschiedliche Menschen treffen nach vielen Jahren wieder aufeinander", beschreibt Husch Josten die Ausgangsposition ihres Romans 'Land sehen'. "Sie gewinnen einander sehr viel ab, aber treffen eben aus sehr unterschiedlichen Welten aufeinander." Die zwei Menschen, von denen Husch Josten erzählt, sind der Literaturprofessor Horand Roth und sein Onkel Georg, der Priester geworden ist. "Mich interessierte vor allem diese Begegnung", sagt die Autorin. "Wenn einer sich einer Glaubensgemeinschaft zugewandt hat, mit der man so gar nichts anfangen kann, aber man hängt sehr an diesem Menschen. Was macht das mit einem? Das führt zu einer Auseinandersetzung – und diese Auseinandersetzung fand ich spannend."

'Ich bin jetzt Mönch geworden'

Der Literaturprofessor Horand Roth hat sich im Leben eingerichtet. Er lebt von seiner Frau getrennt, hat hier und da Affären. Mit Glauben und Religion hat er irgendwie abgeschlossen, oder wie es im Roman heißt, er hat sich im Agnostizimus auf neutralem Boden bequem eingerichtet. Dann kommt ganz plötzlich sein Patenonkel Georg ins Spiel. Der ruft ihn eines späten Abends unvermittelt aus Argentinien an. "Die beiden haben sich über dreißig Jahre nicht gesehen, denn Georg ist nach einem Streit mit seiner Schwester, der Mutter von Horand, von der Bildfläche verschwunden", erzählt Husch Josten. "Nun ist der Patenonkel wieder da und sagt am Telefon gleich: 'Ich bin jetzt Mönch geworden. Ich heiße jetzt Bruder Athanasius'. Das haut Horand aus den Schuhen."

Der Literaturprofessor ist hin- und hergerissen, denn zu allem Überfluss gehört sein Onkel auch noch zu den stockkonservativen Piusbrüdern. Wie geht das zusammen? fragt er sich. Der fröhliche, lebenskluge, der Welt und dem Leben zugewandte Mann – ein Piusbruder? "Der Patenonkel fordert ihn heraus. Horand liebt ihn sehr – und sieht sich auf einmal mit Glaubensfragen konfrontiert, aus denen der Onkel ihn nicht mehr heraus läßt", sagt Josten. "Da merkt er irgendwann, mit dem Agnostizismus ist das so eine Sache. Da habe ich mich wirklich gut eingerichtet. Das klingt auch ganz schön, aber wenn ich so konkret darauf angesprochen werde, wo ich nun stehe, reicht das nicht."

Glaube und Gott - Wo stehe ich?

Wo stehe ich? Bei dem Literaturprofessor gerät durch das plötzliche Auftauchen des Priester-Onkels viel in Bewegung. Aber auch bei Georg ist der Glaube nicht festgezurrt. Die Piusbrüder sind nicht das, was er sich vorgestellt hat – zu statisch, zu dogmatisch, zu konservativ und zu konform.

Husch Josten erzählt, wie sich der säkular lebende Neffe und der Priester begegnen, wie sie sich herausfordern. Zum Beispiel wenn der Onkel erklärt:

'Wenn du glauben kannst, dass sich in Jesus am Kreuz Gott zeigt, dass es Gott selbst ist, dann siehst du darin keinen rein geistigen, auf eine starre Ordnung gerichteten, der Geschichte enthobenen und den Menschen apathisch gegenüberstehenden Gott. Sondern du siehst einen, der seine Pläne ändert und sich auf die Endlichkeit des Menschen einlässt. Er teilt dessen Schicksal. Er stirbt. Stirbt, wie alle um uns herum gestorben sind.'

Ich will nicht missionieren

Tod und Sterben sind auch im Roman von Husch Josten Katalysatoren des Lebens. Und es geht auch um eine Familiengeschichte. Denn es hat einen Grund, warum der Onkel Georg nach einem heftigen Streit so plötzlich aus der Familie verschwunden ist. "Es gibt da ein dunkles Kapitel in der Familiengeschichte", verrät die Autorin. Dabei geht es um Liebe, Verrat und Versagen.

Husch Josten erzählt das spannend wie in einem Krimi. Ihr Roman ist vielschichtig und obwohl sie immer wieder die großen Fragen nach dem Glauben und Gott streift, hat ihr Buch nichts von einem Disput in hohem theologischen Gewölk. Sie sei auch weit davon entfernt, mit ihrer Literatur missionieren zu wollen, sagt sie. So läßt sie das Ende ihres Romans auch offen. Ob der Literaturprofessor von seinem Onkel, dem Priester, bekehrt worden ist, bleibt ungewiss – was auch immer 'bekehrt' heißen mag. "Er findet einen Weg sich seinem Onkel und dessen Glauben anzunähern", sagt Josten. "Das heißt jetzt nicht, dass da eine Mission stattgefunden hat. Das hatte der Patenonkel Georg auch gar nicht im Sinn. Alles, was er macht, macht er aus Liebe zu seinem Neffen – aber nicht, um den Neffen irgendwohin zu bringen."


Quelle:
DR