Heinrich Steinfest über seinen Roman ´Die Büglerin´

Bügeln als erlösende Strafarbeit

"Das schönste waren die weißen Hemden", so beginnt der Roman ´Die Bügerlin´ von Heinrich Steinfest. Der Autor erzählt die Lebensgeschichte einer Frau, deren Leben von einer Schuld erschüttert wird, die sie in einer Art weltlichen Klosterlebens als Büglerin aufzuarbeiten versucht.

Heinrich Steinfest / © Christian Hass
Heinrich Steinfest / © Christian Hass

"Sie versucht eine Falte zu glätten und damit die ganze Welt zu glätten", sagt Heinrich Steinfest über seine Romanheldin Tonia Schreiber. "Das Bügeln steht natürlich auch symbolhaft für das Ausbügeln, für das Wiederherstellen eines reinen Zustands, der in der Glätte besteht". Mit der ´Büglerin´ wählt der Autor eine Metapher, die auf die Frage hinführt, was Tonia Schreiber auszubügeln hat? Ihre Biografie beginnt in einem Schutzraum. Ihre ersten 14 Jahre lebt sie mit ihren Eltern auf einem Boot und segelt über die Weltmeere. "Später erinnert sie sich an einen Naturfilm, wo sie sieht, wie ein Bärenjunges, das von der Mutter wunderbar gehegt und gepflegt und aufgezogen wird, dann von ein auf den anderen Moment alleingelassen und hinausgestoßen wird", beschreibt Steinfest ihre Kindheit. "Das ist die erste große Zäsur in ihrem Leben".

Ahnung und Angst

Tonia Schreiber macht aus dieser Zäsur das Beste. Sie wird eine anerkannte Meeresbiologin und kauft sich von ihrem geerbten Vermögen eine Villa. Dort lebt sie mit ihrer Nichte, die sie wie eine Tochter liebt und die sie wie eine Mutter beschützen möchte. Tief in ihrem Innern spürt Tonia aber eine Angst, dass etwas Unheilvolles droht. "Es geht auch um diese Angst, die ich von mir selbst kenne, und die man natürlich spätestens entwickelt, wenn man Kinder hat – oder wenn man irgendjemand hat, für den man da sein möchte", sagt Steinfest. Dann passiert das Unglück. Ein Amokläufer erschießt in einem Kino Tonias geliebte Nichte. Tonia hätte sich unter Einsatz ihres Lebens schützend dazwischen werfen können. "Sie reagiert falsch und verzweifelt daran. Sie kann sich auch niemals verzeihen", sagt der Autor.

Den Tod als Schicksal annehmen können

Hier kommt es zur zweiten Zäsur im Leben von Tonia Schreiber. Sie fühlt sich schuldig und ist nicht in der Lage, ihr bisheriges Leben weiterzuleben. "Das führt dazu, dass sie das Gefühl hat, ihr eigenes Leben gehöre ihr nicht mehr", erklärt Steinfest, "das heißt, sie ist auch nicht in der Lage, sich zum Beispiel umzubringen. Sie kann diese unerträgliche Situation nur auflösen, indem sie ein vollkommen neues Leben beginnt. Es ist eigentlich ein altes Thema von mir, das Thema der Verwandlung, nur dass dieses Mal die Verwandlung eben mit der Zäsur eines schrecklichen Erlebnisses einhergeht". Heinrich Steinfest erzählt in seinem Roman von einem Menschen, dessen Schicksal zugespitzt unser aller Leben spiegelt. Wie gehen wir mit Schuld um? Was machen wir, wenn wir bis ins Letzte vom Leben und vom Tod herausgefordert werden? "Es geht um den Tod, und dass Tonia Schreiber meint, man müsse diesen Tod annehmen, um den Tod eines anderen zu verhindern. Das kann man aber nicht erst in dem Moment machen, wo es geschieht, sondern man muss diese Bereitschaft sehr viel früher an den Tag legen. Das ist etwas, was sie sich auch vorwirft, dass sie diese Bereitschaft zu sterben, anstelle des Kindes zu sterben, eigentlich nicht erfüllt hat. Am Ende des Romans erfüllt sie das sehr wohl, diese Bereitschaft als die Ältere diesen Tod anzunehmen", sagt Steinfest.

Bügeln als Exerzitien

Unsere Ängste und tiefsten Gefühle sind ambivalent. Wie ist das, wenn wir unsere Kinder beschützen wollen – und können wir das überhaupt bis ins Letzte tun? Auch diese Frage stellt Heinrich Steinfest in seinem packend geschriebenen Roman. "In diesem Wiggelwaggel nicht zu wissen, wieviel darf ich schützen und wieviel schütze ich eigentlich dadurch, dass ich loslasse. Wir wissen natürlich, wenn ich jemanden die ganze Zeit nur einsperre, dann ist der nicht lebensfähig, wenn der irgendwann herauskommt. In dieser Ambivalenz lebt Tonia die ganze Zeit", sagt Steinfest. Die Romanheldin wird Büglerin. Die konzentrierte Tätigkeit verschafft ihr Ruhe. Ihre Schuld kann sie so ab- und wegarbeiten. Am Ende findet sie ins Leben zurück und lernt einen Mann kennen. Die Büglerin ist auch ein Roman über Erlösung, die über eine kontemplative Tätigkeit wie das Bügeln als Exerzitien möglich ist. "Das hat Züge eines weltlichen Klosterdaseins", erklärt der Autor. "Für sie ist diese Strafe ein gangbarer Weg der Bewältigung, der am Ende des Romans sogar dazu führt, dass sie eine zweite Chance bekommt".


Quelle:
DR