Heinrich Detering über Irmgard Keun

"Ich stehe mit dem lieben Gott auf gutem Fuß"

Als eine der wichtigsten Autorinnen des 20. Jahrhunderts bezeichnet Heinrich Detering die Schriftstellerin Irmgard Keun. Der Literaturwissenschaftler Detering hat die Gesamtausgabe ihrer Werke jetzt herausgegeben und schwärmt von der humorvollen, politisch hellsichtigen Keun.

Literaturprofessor Heinrich Detering / © Swen Pförtner (dpa)
Literaturprofessor Heinrich Detering / © Swen Pförtner ( dpa )

"Sie stehe, das sagt sie wörtlich, mit dem lieben Gott auf gutem Fuße" zitiert der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering Irmgard Keun. "Ihre Romanheldinnen haben autobiographische Bezüge und sind immer auf der Suche nach einer Orientierung, die ihnen Halt gibt. ´Morgen lass etwas Sonne sein, lieber Gott!´ Mit diesem Stoßgebet endet der Roman ´Das kunstseidene Mädchen´ und das ist nicht nur so hopplahopp hingeschrieben. Das ist so gedacht und gewollt", ist Detering überzeugt. Irmgard Keun war in der Weimarer Republik der Shooting Star der Literatur. Ihre Bücher ´Gilgi, eine von uns´ und der Roman ´Das kunstseidene Mädchen´ waren Bestseller. Keun erzählt aus der Perspektive von Frauen in der Weimarer Welt, die entfesselt ist und orientierungslos dahintaumelt zwischen Rausch und Absturz, zwischen Lido und Limbo. Eine Welt, in der dann die Nazis erscheinen, um eine neue grauenhafte Ordnung aufzurichten, in der alles nur schrecklicher wird.

`Nach Mitternacht´ ist eines der besten Bücher über den Alltag im Nationalsozialismus

Der Literaturwissenschaftler Professor Heinrich Detering schwärmt von den politisch hellsichtigen Romanen Irmgard Keuns. "Wenige Autorinnen haben im zwanzigsten Jahrhundert ihre Zeit so wahrgenommen und reflektiert. Das geschieht bei Irmgard Keun gleich dreimal auf eine sehr dramatische Weise, in der sich ihre Schreib- und Lebensgeschichte mit der Weltgeschichte verbindet." Die erste Lebens- und Schreibphase fällt in die Zeit der Weimarer Republik. Irmgard Keun wird zu einer prominenten und auch weltbekannten Autorin. Dann kommen die Nationalsozialisten und verbieten und verbrennen ihre Bücher. "Keun geht ins Exil und wird zu einer der besten und talentiertesten Autorinnen des Exils. Das ist eine ganz neue Karriere, die weltweit wahrgenommen wird", sagt Detering. In dieser Zeit schreibt Irmgard Keun den Roman mit dem Titel ´Nach Mitternacht´, der wie kaum ein anderes Buch vom bedrückenden Alltag im Nationalsozialismus erzählt. Sie konnte dabei aus eigener Erfahrung und Anschauung erzählen, da sie vor ihrer Flucht noch drei Jahre in Nazideutschland lebte. "Sie hatte also den Alltag des deutschen Faschismus und die Redensarten, die Umgangsformen, die kleinen alltäglichen Rituale und die großen Führerauftritte miterlebt und schreibt aus eigenem Erleben den Roman `Nach Mitternacht´, eines der besten Bücher, die ich über den Nationalsozialismus in der Erzählliteratur kenne", sagt der Literaturwissenschaftler Detering.

Als die Nazis die Niederlande besetzen, kommt Irmgard Keun nicht mehr aus dem Land heraus. Sie beschließt unter größter Gefahr zurück nach Deutschland zu gehen und sich dort zu verstecken. "Sie geht unter falschem Namen nach Deutschland zurück, gerät in Vergessenheit, schreibt auch ein paar Jahre lang bis zum Kriegsende nichts mehr. Und fängt dann nach dem Krieg in den Trümmern Kölns eine neue dritte Karriere an. Und wieder ist sie eine satirisch scharfe aufmerksame Beobachterin der neuen Zeitentwicklung", fasst Detering ihr Wirken nach dem Krieg zusammen.

Eine Autorin mit rheinischem Humor

Heute ist Irmgard Keuns Roman ´Das kunstseidene Mädchen´ Schullektüre. Ihr Werk ist das Werk einer Autorin des 20. Jahrhunderts, die Frauen eine Stimme gibt. "Sie tritt nicht nur als eine selbstbewußte Schriftstellerin auf, sondern sie schildert auch Frauen, die um ihre Anerkennung, ihre Gleichberechtigung, den Respekt als Frauen kämpfen", sagt Detering. "Es ist bezeichnend, dass Irmgard Keun auch in der Literaturgeschichte immer wieder in der zweiten Reihe erscheint - hinter den Männern, mit denen sie zusammen gelebt und gearbeitet hat oder die sie gefördert haben – Joseph Roth, Erich Kästner, Kurt Tucholsky oder in den letzten Jahren in Köln Heinrich Böll, die sind selbst mit Texten, die erkennbar von Keun inspiriert waren, bekannter und respektierter geworden, als sie es als Autorin gewesen ist." Deshalb gehört Irmgard Keun in die Reihe der großen Autoren des 20. Jahrhunderts. Die neue dreibändige Gesamtausgabe, die Heinrich Detering herausgegeben hat, lädt dazu ein, ihre Romane und Texte neu zu entdecken, nicht zuletzt weil auch der rheinische Humor der Schriftstellerin aus Köln die Lektüre ihrer Romane und Texte zu einem großen Vergnügen macht. "Sie ist eine nicht nur satirisch scharfe, sondern auch eine humorvoll warmherzige Erzählerin, so dass es immer ein Vergnügen ist, sie zu lesen, selbst wenn es um traurige Zusammenhänge geht", schwärmt Professor Detering.