Hajo Steinert erzählt in 'Bumenspiel' von einer Reise ins Ungewisse

Von Köln im Jahr 1908 zum Monte Veritá

Zweispänner rasseln, Automobile röhren und Straßenbahnen quietschen. Köln im Jahr 1908, eine pulsierende Stadt. Hajo Steinert schickt in "Blumenspiel" einen jungen Mann vom Lande in die Metropole. Die Stadt macht ihn konfus, Zuflucht sucht er in der Liebe.

Hajo Steinert / © Bettina Fürst-Fastré (Penguin Verlag)

"Als er endlich vor ihm stand, fasste er ihn an, hielt sich an ihm fest, trat einige Meter zurück und schaute steil an ihm hoch. Ihm wurde schwindelig. Er griff sich an die Stirn, sank auf die Knie vor Erschöpfung". Gesehen hat Heinrich den Kölner Dom schon von Weitem. "Ihm war, als bohrten sich seine beiden Spitzen in die Wolken hinein". In Hajo Steinerts Roman "Blumenspiel" verläßt der junge Kunstschmied Heinrich Karthaus 1908 sein Heimatdorf im Bergischen Land, um in Köln als Tagelöhner zu arbeiten. Überwältigt ist er von der Großstadt, die sich in einer gigantischen Aufbruchszeit befindet.

"Die Fertigstellung und Einweihung des Kölner Doms 1880 hatte eine unglaublich weitreichende Sprengkraft für die nachfolgende Zeit", schwärmt Steinert im DOMRADIO.DE Interview. "Der Dom ist nicht nur die höchste Kathedrale der Welt gewesen, das war auch eine Initialzündung, in den Himmel zu steigen und ganz neu zu bauen, tolle Gebäude zu bauen, eine Oper, den Rheinauhafen, Hotels, wunderbare Prachtboulevards, eine blühende Zeit – aber es hat die Menschen damals auch nervös gemacht. Viele litten unter Neurasthenie".

Portrait einer aufgewühlten Gesellschaft

Hajo Steinert schickt den Leser auf eine atemberaubende Zeitreise in das beginnende 20. Jahrhundert. Er entwirft das Panorama einer Epoche, die viel mit den aktuellen Umbrüchen gemeinsam hat. Neurasthenie ist eine damals weit verbreitete Nervenkrankheit, ähnlich dem uns bekannten Burnout. Während heute die Digitalisierung und Globalisierung die Menschen überfordert, waren es damals die durch die Industrialisierung verursachten rasanten Entwicklungen mit dem Lärm und Getöse der Großstädte, die die Menschen strapazierten, aufwühlten und gereizt machten.

Steinerts Romanheld Heinrich Karthaus ist ein schüchterner, stiller Mann, der mit dem Lärmpegel der Großstadt überfordert ist, der konfus durch die rasant wachsende Metropole Köln irrt und Zuflucht in der Liebe sucht. Heinrich verliebt sich in die Näherin Hedwig, über die er auch den Lärmschutzverband Köln kennenlernt, eine Vereinigung, die damals in Deutschland gegründet wurde und die gegen Industrielärm aber auch gegen zu laute Grammophonmusik oder quietschende Straßenbahnen kämpfte.

Von Köln zum Monte Veritá

Hajo Steinert gelingt es, den Leser in die Atmosphäre der Stadt Köln im Jahr 1908 eintauchen zu lassen, als wäre er selbst dabei – bei den Treffen des Lärmschutzverbandes oder auch wie der Zeppelin damals über Köln geflogen ist und alle ins Staunen versetzte oder wie beim Bau der Südbrücke ein schwerer Unfall passierte, ein Schock für die Stadt und seine Bewohner.

Die junge Hedwig fühlt sich in der Großstadt verloren. Ihre Eltern betreiben eine Änderungsschneiderei und haben ganz bestimmte Vorstellungen vom Leben ihrer Tochter. Sie soll verkuppelt werden, sie soll dem elterlichen Betrieb nützlich sein. Ein Freund erzählt ihr von der Künstlerkolonie Monte Veritá am Lago Maggiore, in Ascona, die im Jahr 1900 gegründet wurde und die stetig wächst. Hajo Steinert ist vom Leben der Träumer fasziniert, die dort ihre Vorstellung vom Glück ganz handfest zu leben versuchten, "wo religiöse Schwärmer, Urkommunisten, Anarchisten, Künstler, Spinner, Tagediebe und vor allem Vegetarier sich ansiedelten. Dahin zieht es dann diese flatterhafte Hedwig". Sie weiht Heinrich in ihre Pläne ein und bittet ihn, mit ihr zu gehen, auch weil er ein kräftiger junger Mann ist und für Hedwig ein Schutzengel sein kann.

Eine Geschichte zerplatzter Träume

Der zweite Teil des Romans spielt auf dem Monte Veritá, einer Gegenwelt zur explodierenden Epoche der Industrialisierung. Hermann Hesse verkehrte dort, Anarchisten wie Erich Mühsam oder Künstlerinnen wie Käthe Kruse. Hajo Steinert erzählt von der Künstlerkolonie Monte Veritá aus der Perspektive von Hedwig und Heinrich, zwei einfache Menschen, die eben nicht aus dem bürgerlichen Künstlermilieu stammen, sondern mit ihrem Blick von außen die groteske Absurdität dieser Welt deutlich aber gewiss nicht lächerlich machen.

Das Paradies, soviel sei verraten, finden die beiden Kölner hier nicht. "Es ist die Geschichte auch einer Desillusionieren, die Geschichte zerplatzter Träume", sagt Steinert, "die hochtrabenden Utopien, wie es sie im 20. Jahrhundert immer wieder gegeben hat, die immer wieder vom Scheitern bedroht sind. Und es ist der Vorabend des ersten Weltkriegs, und der steht als große Bedrohung auch immer am dunklen Horizont".

Terminhinweis: 03. April / 19 Uhr 30 / Kölner Literaturhaus / Hajo Steinert stellt seinen Roman 'Blumenspiel' vor. http://literaturhaus-koeln.de/programm-ticket/


Quelle:
DR