Gunther Geltinger lotet in seinem Roman "Benzin" die menschlichen Urgründe aus

Ist Liebe eine Illusion?

Vinz und Alexander brechen nach Afrika auf. Ihre Beziehung ist in der Krise. Sie wollen herausfinden, welchen Wert ihre Liebe noch hat. Gunther Geltinger erzählt in 'Benzin' von einer Reise, die die Reisenden auf die Spur der großen Fragen des Lebens führt.

Gunther Geltinger / © Jürgen Bauer/Suhrkamp Verlag
Gunther Geltinger / © Jürgen Bauer/Suhrkamp Verlag

"Das ausschlaggebende Moment, diesen Roman zu schreiben, war mein Unbehagen als Tourist in Afrika". Mehrere Male hat der Autor Gunther Geltinger Afrika bereist. Diese Reisen hätten ihn porös gemacht, sagt er, dabei sei ihm bewußt geworden, dass das Private immer auch politisch sei. "Als Tourist bedient man sich automatisch der Strukturen, die aus einem ehemaligen Unterdrückersystem hervorgegangen sind", sagt Geltinger. "Das fängt schon bei den billigen Arbeitskräften im Hotel an. Als Reisender, der einigermaßen sensibel und emphatisch ist, ist man immer gefangen in dieser Rolle zwischen Täter und Wohltäter, weil diese Länder auf der anderen Seite auch immer die Wirtschaft brauchen, den Tourismus, um aus dieser postkolonialen Falle wieder herauszukommen".

Die Liebe zwischen Vinz und Alexander bröckelt. Sie fahren auch nach Afrika, um herauszufinden, welchen Wert ihre Beziehung noch hat. Sie mieten sich ein Auto. Auf einer Nachtfahrt passiert dann ein folgenschwerer Unfall. Sie fahren einen Afrikaner an, Unami heißt der, sie nehmen den Verletzten mit, er wird ihr Begleiter - wie 'ein dunkler Engel, ihr diffuser Schatten', heißt es im Roman. "Der diffuse Schatten ist natürlich der Schatten des Erzählers", sagt der Autor Geltinger, "das dunkle 'Ich', das finstere Herz, das ihnen vorauseilt und über das er als Schriftsteller im Grunde auch schreibt".

Wie wollen wir heute leben und lieben?

Denn Vinz, die Hauptfigur in Geltingers Roman, ist Schriftsteller. Ein Schriftsteller auf der Suche nach dem, was Leben und Liebe im Kern ausmachen. "Im Leben sind die dunklen Seiten literarisch meist interessanter als die Glücksseiten", sagt der Autor, "so dass er natürlich auch in seinen Büchern sein dunkles 'Ich' hervorkehrt und er findet in Unami dem Afrikaner, der ja unfreiwillig durch den Unfall ihr Opfer wird, so etwas wie eine Entsprechung seiner Ressentiments, seiner dunklen Projektionen, seiner Ängste, vor allem auch seiner kulturellen und zwischenmenschlichen Ängste".

Vinz vergleicht seine Liebesbeziehung zu Alexander mit einem stehenden Gewässer, in das die Zivilisation ihre Abwässer einleitet. Was ist von der Liebe geblieben?, fragt er, und wie können und wie wollen wir eigentlich lieben? "Diese Frage, wie wollen wir lieben? – gerade im Zeitalter der sozialen Plattformen, wo man ganz schnell Beziehungen anbahnen, aber auch wieder abstoßen kann – ist eine zentrale Frage an uns Individuen, aber auch an uns als Gesellschaft: Wie wir in Zukunft lieben wollen? Wie wir Liebe definieren? Wie wir eine Sprache dafür finden, eine Sprache der Verbindung?", fragt Geltinger.

Die Spiritualität holt ihn ein

In Afrika, in der Fremde, kommt das Liebespaar an seine Grenzen. Sprach- und ratlos stehen sie vor den großen Fragen des Lebens. Vinz, der Schriftsteller, sucht nach Worten und findet sie, als er, der sich als Religionsskeptiker sieht, einer uralten afrikanischen Legende begegnet, die sein spirituelles Ich anrührt. "Die Spiritualität holt ihn ein", sagt Geltinger. "Sie ist das, was er schon als Kind gesucht hat. Kunstformen suchen in irgendeiner Weise einen Zugang zur Transzendenz, zum Göttlichen. Und obwohl Vinz sich eher als Atheist begreift, stößt er doch auf eine Legende, die auch eine Kolonialgeschichte in sich einschreibt, die er in seine Sprache zu übersetzen versucht. Also nicht ins Deutsche, sondern in die Sprache seiner Seele".

Gunther Geltinger hat ein aufregendes Buch über die Suche nach Wahrheit und Wirklichkeit geschrieben. Gnadenlos schickt er seine Hauptperson Vinz auf die Reise bis an die Grenzen der Identität, oder was wir dafür halten. Was bleibt, wenn die herkömmliche Liebe eine Illusion ist?, fragt er. Wer erzählt sie dann neu – und wie? "Letztendlich ist das Buch eine Suche nach Menschlichkeit", sagt der Autor, "der Versuch, menschlich zu lieben. Die Machtaspekte der Liebe hinter sich zu lassen, eine humane Sprache dafür zu finden – und aus der Liebe weiterhin Literatur zu machen, das ist ein ganz großes menschliches Bedürfnis".

Veranstaltungshinweis: Gunther Geltinger stellt seinen Roman 'Benzin' am 14. März im Kölner Literaturhaus, Großer Griechenmakrt 39, vor. Beginn 19 Uhr 30.


Quelle:
DR