Fritz Breithaupt "Die dunklen Seiten der Empathie"

Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht

Warum helfen wir Flüchtlingen? Weil wir mitfühlend sind. Häufig schlägt dieses Mitgefühl aber auch um - und führt zu Distanz und Wut. Wenn zum Beispiel Dankbarkeit, die man doch erwarten darf, ausbleibt und die Flüchtlinge sich nicht so verhalten, wie wir das gerne möchten. Es lohnt sich, einen genauen Blick auf die Motive des Helfens zu werfen. Wenn es nur Mitgefühl ist, das uns antreibt, dann kann gut gemeinte Hilfe auch schief gehen. Das behauptet Fritz Breithaupt in seinem Buch "Die dunklen Seiten der Empathie."

Fritz Breithaupt / © Alex Teschmacher (privat)
Fritz Breithaupt / © Alex Teschmacher ( privat )

"Meistens wissen wir gar nicht genau, was ein anderer Mensch empfindet. Wir verstehen die Situation des anderen Menschen nicht – er ist uns fremd", sagt Fritz Breithaupt. Mitgefühl habe viel mehr mit uns selbst zu tun als mit dem Menschen, mit dem wir mitfühlen. Der Kognitions- und Kulturwissenschaftler Breithaupt empfiehlt eine genaue Analyse des Mitgefühls. Wir sollten uns immer fragen, wenn wir über Mitgefühl reden, "für wen das Mitgefühl eigentlich gut ist". Der Emtionsforscher sagt, Mitgefühl sei zunächst einmal für den gut, der mitfühlt, aber nicht unbedingt für den Empfänger. "Deshalb sucht der Mitfühlende auch Situationen oder führt sie sogar herbei, in denen er dieses Gefühl erleben kann." Mitgefühl ist also ein Gefühl, das der Mensch toll findet. Breithaupt verweist dabei auch auf Erfahrungen aus der Flüchtlingshilfe. Menschen zeigen Mitgefühl und sie erwarten dafür Dankbarkeit, das heißt Mitgefühl ist alles andere als selbstlos. Wird die erwartete Dankbarkeit aber enttäuscht, schlägt Mitgefühl schnell ins Gegenteil um und führt zu Distanz oder sogar Wut gegenüber Flüchtlingen. "In der Flüchtlingskrise identifizieren wir uns mit Angela Merkel und anderen prominenten Helfern, aber ob wir uns wirklich auf die Flüchtlinge, auf ihre Sorgen und Nöte und Kultur einlassen, ob wir wirklich aus Nächstenliebe helfen?, das ist eine andere Frage", sagt der Kognitionswissenschaftler.

Was unterscheidet Mitgefühl von Nächstenliebe?

Fritz Breithaupt unterscheidet zwischen Mitgefühl und Nächstenliebe. Nächstenliebe hat mit dem anderen Menschen viel mehr zu tun als mit dem Ego, das der Mitfühlende häufig nur im anderen Menschen spiegelt. "Die Nächstenliebe ist und bleibt für uns eine Herausforderung, eine sehr wichtige und zentral menschliche", ist Breithaupt überzeugt. "Auch das Mitgefühl ist zentral menschlich. Mit dem Mitgefühl lassen wir uns zunächst auf andere Menschen ein. Wir verstehen sie, aber das ist gut für uns." Deshalb ist das Mitgefühl, da möchte Fritz Breithaupt nicht missverstanden werden, nichts Schlechtes. Es ist, wenn man so will, der emotionale Türöffner zum Mitmenschen, hat aber häufig keinen langen Atem – oder kann zu Missverständnissen führen. "Nächstenliebe hat kein Ende", sagt der Autor. "Das Mitgefühl will dagegen Dankbarkeit und Anerkennung. Man erwartet von den Flüchtlingen etwas, sie sollen sich schön schnell integrieren und Deutsch lernen und so weiter. Wenn die Flüchtlinge das nicht tun, dann kippt das schnelle Mitgefühl oder die Identifikation mit den Helfern in Ressentiments und Groll um, den wir denen gegenüber hegen, die sich nicht als dankbar genug erwiesen haben."

Auf die Stimme des Gewissens hören

Was lernen wir daraus? Mitgefühl - schön und gut. Mitgefühl öffnet durchaus unsere Herzen, aber wir sollten uns genau beobachten, wenn wir mitfühlen und fragen, wie sehr meinen wir dabei den anderen – und wie sehr uns selbst? Und hier tritt für Fritz Breithaupt das Gewissen und das Wirgefühl in Kraft. "Wir müssen das Wirgefühl pflegen, ein sehr offenes Wirgefühl, das die Verschiedenheit anderer Menschen miteinschließen kann. Das ist das eine", empfiehlt Breithaupt. "Das andere ist das Gewissen. Ich sehe das Gewissen hier als eine Offenheit für eine Stimme, die etwas von einem fordert, die man auch an sich selber richtet, eine dialogische Stimme, die man lernen und der man antworten muss. Verantwortlichkeit heißt ja erst einmal auch Antwort geben, das heißt antworten auf das, was man sich vorzuwerfen hat – und das dürfen wir nicht vergessen."