Franziska Gerstenberg erzählt über die Klippen des Alltags

Die Suche nach einem Zuhause

"Ich möchte Geschichten schreiben, die hier und heute jedem von uns passieren könnten", sagt Franziska Gerstenberg im domradio.de Interview. In ihrem neuen Erzählband geht es um das Thema "Zuhause". Sie fragt: Wo finden wir Geborgenheit? Wo fühlen wir uns aufgehoben? Und wie fühlen sich die, die in der Gesellschaft einsam bleiben? Werden die überhaupt gesehen?

Franziska Gerstenberg / © Brigitta Kowsky (Schöffling)
Franziska Gerstenberg / © Brigitta Kowsky ( Schöffling )

"So lange her, schon gar nicht mehr wahr", so heißt das Buch mit Erzählungen von Franziska Gerstenberg. "Für mich war das große Thema des Buches Zuhause", sagt die Autorin, "Zuhause, im aller besten Sinne, ist immer nur ein Moment. Ein Moment, der gelingt, in dem alles stimmt. Insofern kann ich auch auf einer Reise zum Beispiel zuhause sein. Zuhause ist für mich der Moment, in dem ich ganz da bin, wo ich bin".

Glück ist etwas Vorläufiges

Dabei geht es immer auch um die Suche nach Glück, nach dem glücklichen Leben. Glück? Das ist sehr zerbrechlich, immer bedroht durch die großen und kleinen Katastrophen im Leben, von denen die Autorin erzählt, wenn zum Beispiel jemand stirbt, wenn er verlassen wird, oder seinen Arbeitsplatz zu verlieren droht. "Glück ist etwas Vorläufiges", sagt die Autorin, "und trägt das Scheitern schon in sich, genauso wie das Scheitern den Keim in sich trägt, dass es wieder besser wird. So funktionieren meine Geschichten auch". Eine Garantie auf ein Happy End gibt es dabei natürlich nicht. Viele der Erzählungen bleiben am Ende offen. Da stirbt die Mutter eines kleinen Kindes. Der Familienvater ist hilflos, überfordert, schließlich ist das eine der größten Katastrophen, die passieren kann. "Mir war es wichtig, die Hilflosigkeit zu zeigen und wie der Familienvater von den eigenen Gefühlen abgeschnitten ist", erklärt Franziska Gerstenberg, "das Schräge, was hier passiert, ist, dass gerade in dem Moment, wo eine Trauerbewältigung stattfinden soll, findet sie über einen Umweg dann doch nicht statt, weil der Mann sich ausgerechnet in seine Trauerberaterin verliebt. Das ist dann wiederum ein Weg, sich nicht mit dem Verlust auseinanderzusetzen, sondern nach dem Ersatz zu suchen – das kann nicht gut gehen."

Mit Literatur die Welt verändern

Andere Erzählungen finden dagegen fast unverhofft zu einem guten Ende. Da ist eine junge Frau, die von ihrem Partner verlassen wird. Und jetzt will sie groß und stark das Leben meistern. Sie will eine Frau sein, die forsch ihr Leben in die Hand nimmt. Sie kauft sich ein Auto, will endlich selbst fahren lernen. Aber diese neue Rolle der modernen selbstständigen, alles managenden Frau überfordert sie. "Am Ende findet sie für sich das kleine Glück", sagt die Autorin, "sie akzeptiert, dass sie vielleicht gar nicht so toll ist, dass sie gar nicht die große, starke Frau ist, die alles allein schafft. Sie läßt sich darauf ein, dass sie vielleicht eine Beziehung möchte, in der sie sich auf einen Mann stützen kann und Verantwortung abgeben kann". Dabei geht es auch immer um Rollenbilder, um gesellschaftliche Vorstellungen, wie toll man doch eigentlich sein müßte, und wie man sich an bestimmten gesellschaftlichen Vorstellungen aufreiben kann. Franziska Gerstenberg schreibt klug und einfühlsam über die Not, über die Konflikte, auch über die Sturheit der Menschen. Ihre Erzählungen gehen unter die Haut und hallen nach der Lektüre lange nach. "Ich glaube, dass Literatur in einer sehr kleinen reduzierten Form die Welt, die Menschen verändern kann – durch das Nachdenken und auch durch die Reibung, "sagt die Schriftstellerin, "und wenn man jemanden in einer Erzählung oder in einem Roman hat, der einen wütend macht, weil man denkt, wieso denn immer diese Fesseln, wieso wirft man sein Leben so weg, dann fängt man ja schon an über sich selbst nachzudenken. Das wäre toll, das wünsche ich mir".


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