Frank Witzel über "Das Karamasow-Gesetz"

Wenn Gott tot ist, ist dann alles erlaubt?

Wenn Gott tot ist, gibt es dann keine Tabus mehr? Diese Frage stellte vor gut 140 Jahren der Autor Dostojewski in seinem Roman: "Die Brüder Karamasow". Eine Frage, die damals die Welt erschütterte und auch heute noch aktuell ist. Die Berliner Volksbühne hat 22 Autoren gebeten, sich über die Frage, "ob alles erlaubt ist, wenn Gott tot ist?" Gedanken zu machen. Das Ergebnis ist jetzt in einem Buch erschienen. "Alles ist erlaubt. Das Karamasow-Gesetz" so heißt das Buch, an dem auch der Autor Frank Witzel mitgeschrieben hat.

Frank Witzel / © Gianni Plescia
Frank Witzel / © Gianni Plescia

"Damals führte der Gedanke, Gott ist tot, tatsächlich zu einer massiven Verunsicherung", erzählt Frank Witzel im domradio.de Interview, "und es kam in Russland zu einer Art Selbstmordepidemie".

Ein Roman löst Selbstmorde aus. Das hat es vorher nur einmal gegeben, im späten 18. Jahrhundert, als Goethes Briefroman "Die Leiden des jungen Werther" erschien, nahmen sich unglücklich Verliebte in großer Zahl das Leben. Der Roman "Die Brüder Karamasow" von Dostojewski erscheint gut hundert Jahre später, und wieder bringen sich viele Menschen nach Lektüre des Buches um. In dem Roman geht es ganz grundsätzlich um die Frage, was ist eigentlich, wenn es Gott nicht gibt? Ist dann alles erlaubt?

"Wie sich Menschen umbringen, weil sie unglücklich verliebt sind, gab es auf einmal auch Selbstmorde aus religiösen Gründen", sagt Frank Witzel. Der Bestsellerautor hat sich in dem Buch "Das Karamasow Gesetz" mit der Selbstmordepidemie in Russland beschäftigt. Er versucht zu verstehen, warum sich die Menschen aus religiösen Gründen umgebracht haben. Die Menschen seien durch die aufkommende Säkularisierung aus dem Paradies des unschuldigen Glaubens vertrieben worden, sagt Witzel: "Ich schildere da einige Fälle, die es gegeben hat", erzählt er, "das sind auch ganz unschuldige Menschen, das sind Dienstmädchen, die sich mit einem Madonnenbildchen in der Hand aus dem Fenster stürzen. Im Grunde eine Verzweiflungstat, die noch einmal den Glauben beschwören möchte".

Das Ende der kindlichen Frömmigkeit

Was ist, wenn es Gott nicht gibt? Diese Frage erschütterte die Menschen damals bis ins Mark, denn diese Frage kam zuvor in ihrem Leben nicht vor. Gott war da, Gott war eine Selbstverständlichkeit und Gewissheit. "Es gab damals einen Glauben, der mich auch fasziniert", sagt Witzel, "einen frommen, einen einfachen Glauben, der einem anscheinend auch genommen werden konnte – durch gewisse Autoritäten". Mit dem Ende der alten Religiosität und kindlichen Frömmigkeit begann eine neue Zeit. Plötzlich glaubte man nur noch, was man zu sehen meinte. Die Ideologie des Materialismus verbreitete sich, man glaubte an die Naturwissenschaften, in denen kam Gott nicht vor. Ein Ringen um Gott begann, eine Religiosität, die sich neu aufstellen musste und die sich heute immer noch und immer wieder neu erklären muss. "Wenn wir uns mit Glaubensfragen beschäftigen, müssen wir damit umgehen, wie wir dieses Wissen integrieren oder wie wir immer wieder an einem neuen Glauben arbeiten", sagt Witzel.

"Alles ist möglich" gegen "Alles ist erlaubt"

Der Katholik Frank Witzel beschäftigt sich in seinen Büchern intensiv mit Fragen nach Glaube und Gott. Für ihn ist das Wunder der katholischen Wandlung, wenn Brot und Wein zu Fleisch und Blut werden, auch ein Fenster zu einer Welt, die eben anders ist, die auch das selbstermächtigende und größenwahnsinnige "Alles ist erlaubt", das Dostojewski thematisiert, in ein befreiendes "Alles ist möglich" verwandeln kann. "Wenn man die Eucharistie als ein "Alles ist möglich" beschreiben würde, dann wäre das ein Satz, den man diesem "Alles ist erlaubt" entgegen setzen kann, denn "Alles ist erlaubt" ist kein positiver Satz, weil er so nah an einer Willkür ist. "Alles ist möglich" hat dagegen etwas Positives", sagt Frank Witzel.