Felicitas Hoppe über den 100. Geburtstag von Heinrich Böll

Böll war nicht das Gewissen der Nation

Böll lesen. Dazu fordert die Büchnerpreisträgerin Felicitas Hoppe auf. Im domradio.de Interview warnt sie davor, Böll in Schubladen wie ´Gewissen der Nation´ oder ´guter Mensch von Köln´zu katalogisieren.

Unvergessen: Heinrich Böll (dpa)
Unvergessen: Heinrich Böll / ( dpa )

"Ein Mensch kann gar nicht das Gewissen der Nation sein. Das Gewissen der Nation ist zunächst einmal das Parlament." Auf die Frage ob er, ´der gute Mensch von Köln´, ´das Gewissen der Nation´ sei, hat Heinrich Böll diesen Satz gesagt, den Felicitas Hoppe zitiert.

Aber die Schriftstellerin geht noch weiter, indem sie die Zuschreibung, Heinrich Böll als Gewissen der Nation zu bezeichnen, vehement zurückweist. "Ich kann doch nicht sagen, Gott sei Dank gibt es Heinrich Böll, wir haben ein Gewissen der Nation, der spricht für uns. Dieser Wunsch, die Aufgabe an einen anderen abzugeben, ist sehr menschlich.

Felicitas Hoppe / © Tobias Bohm (Fischer)
Felicitas Hoppe / © Tobias Bohm ( Fischer )

Das entspannt ungemein, wenn ich weiß, es gibt drei gute Menschen – einer davon ist der gute Mensch von Köln und die werden es schon richten, die hängen sich aus dem Fenster und ich sitze zuhause und habe die Aufgabe abgegeben. Wir können unsere Aufgaben nicht an Schriftsteller abgeben. Schriftsteller können Geschichten erzählen aber nicht viel mehr."

Böll löste unter Katholiken Diskussionen aus

Heinrich Böll, der Schriftsteller – und nicht das Gewissen der Nation. Was fällt der Schriftstellerin Felicitas Hoppe denn zuerst ein, wenn sie den Namen Heinrich Böll hört? "Heinrich Böll ist katholisch und eben auch nicht. Ich bin katholisch aufgewachsen und Böll war schon bei uns zuhause im positiven Sinn ein Stein des Anstoßes. Er wurde bei uns gelesen und viel diskutiert", erinnert sich Felicitas Hoppe. "Das andere, was mir bei Böll sofort einfällt, ist der Krieg. Er ist zehn Jahre älter als mein Vater. Mein Vater lebt noch. Mein Vater war selber im Krieg. Er hat fast alle seine Brüder im Krieg verloren. Für mich ist der Umgang mit diesem Thema ganz stark an Heinrich Böll gebunden." Heinrich Böll ist ein Autor, der wie kein anderer über den Krieg und die Nachkriegszeit in Deutschland erzählte und das in einem Stil und Ton, der damals ganz neu war. "Ich kann mich an Debatten erinnern, die mein Vater mit Freunden hatte, und da hieß es dann: Böll, damit ist die Literatur zu Ende, das kann man nicht mehr lesen. Das ist eigentlich ein Verrat an Literatur", beschreibt Felicitas Hoppe die damalige Böll Rezeption in weiten Kreisen. "Denen war das zu modern. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Die waren halt bei Rilke stehen geblieben und lasen, wenn es um das Katholische ging, bestenfalls noch Werner Bergengruen oder Reinhold Schneider, aber sicher nicht Böll." Wie seltsam das aus heutiger Sicht anmutet, da viele Menschen die Bücher von Heinrich Böll in die Ecke stellen und als überholte Literatur des 20. Jahrhunderts katalogisieren. "Da heißt es dann, wer liest noch Böll? Der ist verstaubt, den kann man nicht mehr lesen", beobachtet Hoppe.

Der politische Böll verstellt den Blick auf seine Bücher

Auch verstellt der politische Heinrich Böll häufig den Blick auf seine Bücher. Den politisch sich einmischenden und den schreibenden Böll voneinander zu trennen, hält Felicitas Hoppe für einen bürgerlichen Irrtum. "Er war dezidiert politisch engagiert. Er hat sich nicht parteilich binden lassen, aber er hat Position bezogen und er war zugleich Schriftsteller," sagt die Büchnerpreisträgerin. "Er hat mit der Sprache gearbeitet. Er hat Geschichten erzählt. Ich glaube, dass er sehr darunter gelitten hat, dass das immer getrennt wurde. Wenn man ihn politisch gefragt hat, ging es wahrscheinlich nicht um seine Texte und eigentlich artikuliert sich jeder Schriftsteller durch seinen Text und nicht durch politische Pamphlete."

Das habe Böll genau gewusst, sagt Hoppe, er habe die Einheit von Engagement und Literatur gesucht. Und eben nicht die Unterscheidung zwischen der schöngeistigen Literatur und dem politischen Engagement. Für Heinrich Böll gab es diesen Unterschied nicht. Schreiben und politisches Wirken war für Böll eine Einheit, denn "im allerweitesten Sinn ist jede Literatur politisch, weil sie gesellschaftlich wirksam wird. Bölls Texte sind nicht ideologisch, aber er bezieht politisch Stellung." Seine Romane sind differenzeiert, vielschichtig und, was häufig bei den Romanen übersehen wird, witzig. Heinrich Böll konnte unglaublich komisch schreiben und das nicht nur in den Satiren, wie ´Doktor Murkes gesammeltes Schweigen´.

"Dieses Mittel des Witzes, des Humors, also der freundlichen menschlichen Weltbetrachtung, das ist halt Böll," schwärmt die Bestsellerautorin Felicitas Hoppe. Zum 100. Geburtstag des Literaturnobelpreisträgers wünscht sie sich, dass der runde Geburtstag ein guter Anlass sein möge, die Romane und Texte von Heinrich Böll neu zu entdecken. "Man wird dabei große Überraschungen erleben und Glücksmomente haben. Lesen. Lesen. Lesen. Und einfach die Texte anschauen und man wird verblüfft sein, wie wahnsinnig differenziert das ist. Das sind eben keine Pressemitteilungen. Das ist Nachdenken über die Welt."

Schriftsteller Heinrich Böll

Heinrich Böll wurde am 21. Dezember 1917 in Köln geboren und starb am 16. Juli 1985 in Kreuzau-Langenbroich (Eifel). Als einer der bedeutendsten Schriftsteller der Nachkriegszeit erhielt er 1972 den Literaturnobelpreis. Immer wieder bezog er Stellung zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen. Den größten Streit um seine Person gab es, als Böll 1972 im "Spiegel" zum Umgang des Staates mit der Baader-Meinhof-Gruppe Stellung bezog.

Unvergessen: Heinrich Böll (dpa)
Unvergessen: Heinrich Böll / ( dpa )