Eva Menasse über "Tiere für Fortgeschrittene"

Wir sollten es besser können

"Es geht um die Details, um das genaue Hingucken" sagt Eva Menasse gegenüber domradio.de. "Denn oberflächlich quatschen tun wir ohnehin alle den ganzen Tag". In ihrem neuen Erzählband "Tiere für Fortgeschrittene" zoomt die Autorin ganz nah an den Alltag von Familien heran und führt uns die Fakten sozialen Scheiterns vor Augen.

Eva Menasse / © Ekko von Schwichow
Eva Menasse / © Ekko von Schwichow

Eva Menasse stellt uns den gebildeten Mittelstand vor, Patchworkfamilien, die im Urlaub alles richtig machen wollen und doch scheitern oder ein Paar, dessen Beziehung sich mit zynischem Geschwätz über den Alltag und die Zeit rettet. In einer anderen Erzählung verliert eine gebildete Elternschaft die Kontrolle über das, was in der Schulklasse ihrer Kinder vor sich geht. Der Autorin wurde einmal vorgeworfen, dass sie in ihren Erzählungen immer über den Mittelstand berichtet und nie über die Probleme einer Kassiererin im Supermarkt oder eines Busfahrers. "Für mich ist der gebildete Mittelstand viel interessanter, eben weil er es besser wissen und können müsste", sagt Menasse. "Wir sind offen, wir sind reflektiert, wir haben Philosophie studiert und haben Therapien gemacht, und doch treten wir im Privatleben immer wieder ins Fettnäpfchen und beschädigen den anderen."

Die digitale Real-time Verenetzung überfordert uns

"Tiere für Fortgeschrittene" hat Eva Menasse ihren Erzählband genannt, weil wir, wie sie sagt, doch auch nur fortgeschrittene Tiere seien. Die Autorin sieht sich dabei auch als Verhaltensforscherin, die einen Blick auf die menschliche Gattung wirft. Dabei macht sie deutlich, wie sehr das private und das politische Leben zusammenhängen. "In letzter Zeit kann man sich auf überhaupt nichts mehr einigen", heißt es in einer Erzählung. Tiefe Verunsicherungen prägen die Menschen. Die neuen Kommunikationswege, die Digitalisierung und die Globalisierung überfordern uns. Eva Menasse erkennt hier eine technologische Revolution, die sie mit den Veränderungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts vergleicht und die damals den ersten Weltkrieg mit auslösten. "Wir hatten eine lange Zeit des Friedens und des Wohlstands. Der Mensch in der Gruppe, in der Masse scheint dazu zu neigen, wenn diese Zeiten zu lang dauern, es dann kaputtschlagen zu wollen", befürchtet die Autorin. "Ich denke wirklich, dass in den kommenden fünfzehn Jahren etwas Schlimmes passiert."

Die junge Generation poltisiert sich wieder

Doch auf Nachfrage korrigiert sich die Autorin und sagt, man könne es aber auch ganz anders herum betrachten. "Eine junge Generation scheint sich jetzt wieder zu politisieren. Das hat es doch seit zwei, drei Generationen nicht mehr gegeben", sagt Menasse. "Genau die Vernetzungen und Digitalisierungen nutzen auch dem Widerstand, der diese schrecklichen Formen von Populismus zu bekämpfen beginnt. Ich bin aber davon überzeugt, dass die Digitalisierung und Real-time-Vernetzung uns überfordert und total verändert."


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