Eva Menasse über „Quasikristalle“

Steig mal in die Schuhe des anderen

„Wir sollten uns davor hüten, die Bilder, die wir von anderen haben, als fix und in Erz gegossen zu betrachten. Diese Bilder können sich immer ganz plötzlich in Rauch auflösen und zu etwas anderem werden“, sagt Eva Menasse im domradio.de Interview. Ihr Buch Quasikristalle kann man auch als Apell lesen: „Steig mal in die Schuhe des anderen“. Eva Menasse erzählt in ihrem Roman „Quasikristalle“ das Leben von Xane Molin aus der Perspektive der sie umgebenden Menschen.

Eva Menasse / © Ekko von Schwichow
Eva Menasse / © Ekko von Schwichow

In dreizehn Kapiteln zerlegt Eva Menasse die Biografie einer Frau in ihre unterschiedlichen Rollen, zeigt sie als Mutter und Patientin, als flüchtige Bekannte und treulose Ehefrau. Zu Beginn ist Xane vierzehn Jahre alt und erlebt mit ihrer besten Freundin einen dramatischen Sommer. Im letzten Kapitel ist Xane Molin Großmutter und verliebt sich noch einmal neu. Dazwischen nähert sich Eva Menasse ihrer Heldin aus verschiedensten Blickwinkeln. Da ist ihr Vermieter, ihre Ärztin, die ungestüme Freundin, ihr Sohn … .

„Man verändert sich das ganze Leben lang“, sagt Eva Menasse: „So hat man ja auch immer ein anderes Gesicht. Als ich ein Kind war und die Jugendfotos meiner Eltern betrachtet habe, habe ich gedacht, ja – so haben die damals als Jugendliche ausgesehen, und jetzt sind sie erwachsen und sehen fertig aus. Heute weiß ich, dass das nicht stimmt. Das Gesicht ist nie fertig. Das letzte Gesicht haben wir, wenn wir sterben“. Eva Menasses Roman erzählt viel über die splitterhafte Wahrnehmung der Menschen untereinander. Sie fragt, was weiß ich schon von meinem Gegenüber?

„Und dann ist da irgendwas im Menschen, das ist wie die Unruhe in einer Uhr, die immer tickt und noch irgendwo anders hin will“, sagt Eva Menasse und schreibt in ihrem Roman Quasikristalle über ihre Heldin, die als glückliche Ehefrau und Mutter in einem glücklichen Leben angekommen zu sein scheint: „Und trotzdem genügt das alles manchmal nicht. Trotzdem wird jedes Paradies irgendwann zum Käfig. Das liegt dem Menschen im Blut. Irgendein Zweifel fällt ein, ein Schatten, es gibt eine minimale Verschiebung des Lichts. Und dann werden wir krank und unvernünftig, wir wollen uns häuten“.