Dana Suffrin über ihren Roman 'Otto'

Die Suche nach dem jüdischen Erbe in Deutschland

Otto heißt der grantige Vater, der seine Tochter nach einem Krankenhausaufenthalt einbestellt, um sie zu bitten, seine Biografie aufzuschreiben. Doch die Tochter stellt fest, dass das Leben ihres jüdischen Vaters so chaotisch war, dass es sich kaum ordnen läßt.

Dana von Suffrin / © Gerald von Foris (KiWi)
Dana von Suffrin / © Gerald von Foris ( KiWi )

"Mich hat interessiert, was im 21. Jahrhundert mit dem jüdischen Erbe in Deutschland ist. Ist dieses jüdische Erbe am Ende nur noch die Erinnerung an den Holocaust und an das Trauma oder gibt es vielleicht doch noch einen kulturellen Bestand, mit dem man sich identifizieren kann?," fragt die Autorin Dana von Suffrin. In ihrem Roman 'Otto' versucht ihre Ich-Erzählerin Timna an das jüdische Erbe anzuknüpfen. Es entgleitet ihr aber zwischen den Fingern. "Timna geht in die Synagoge, weiß aber gar nicht, was sie da machen soll. Sie geht auf den jüdischen Friedhof, kann aber die Grabsteine gar nicht lesen," sagt Dana von Suffrin über ihre Romanheldin. "Timna hat das jüdische Erbe weniger in der Religion gefunden, sondern in der Tradition in einem weiteren Sinn, zum Beispiel nicht zuletzt in der Literatur".

Otto ist eine Heimsuchung

In ihrem Romandebut 'Otto' über das Verhältnis von zwei Töchtern zu ihrem grantigen Jüdischen Vater geht es um die Frage nach Erinnerung, Vergangenheit, Herkunft und Identität. Die Autorin ist selbst Tochter eines jüdischen Vaters und einer christlichen Mutter. "Durch dieses halb-jüdisch halb-christliche ist man automatisch zwischen den Stühlen. Die Identitätsproblematik kriegt man frei Haus geliefert", sagt sie. "Das wollte ich in meinem Roman ein bisschen behandeln". In dem Buch 'Otto' haben es die beiden Schwestern Timna und Babi nicht leicht mit ihrem Vater Otto. Otto sei, so sagt Timna einmal, eine echte Heimsuchung. "Otto ist kein leichter Vater. Er ist ein Tyrann. Er ist ein Patriarch und vor allem erwartet er von seinen Töchtern, dass sie jederzeit zur Verfügend für ihn stehen", erzählt Dana von Suffrin. "Wenn die Töchter ihn täglich im Krankenhaus besuchen, beschwert er sich, warum kommt ihr denn nicht zweimal zu mir? Ich würde euch zweimal besuchen. Andererseits ist Otto auch ein sehr liebevoller Vater. Ich habe versucht, das Verhältnis so ambivalent darzustellen, wie es in der Realität oft ist. Die familiäre Liebe ist doch oft getrübt von solchen Abhängigkeiten, Problemen und schwierigen Verhältnissen".

Wie Traumata vererbt werden

Schwierig sind die Familienverhältnisse in dem Roman auch deswegen, weil Otto als ungarischer Jude das Trauma des Holocaust durchlebt hat. Seine Familie hat er im KZ verloren. Nach dem Krieg hat er dann seinen Alltag irgendwie hingekriegt, doch stabile Beziehungen konnte er nie aufbauen. Im Roman sagt Otto häufig zu seiner Tochter: "'Timna, zum Glück müssen du und die Babi den Krieg nicht mehr erleben, denn hier sind wir sicher. Es ist euch nie so etwas geschehen'. Konnte ich meinem Vater übel nehmen, dass er war, was er war?" fragt die Ich-Erzählerin sich dann. Otto ist auch ein Roman über die Folgen des Holocaust für die Kinder der jüdischen Holocaust-Opfer. "Auch wenn die Kinder in ganz anderen gesellschaftlichen und materiellen Umständen aufwachsen, wird dieses Trauma auf gewisse Art und Weise weitergegeben", sagt Dana von Suffrin. "Ich habe mich während meines Studiums damit beschäftigt, wie Traumata intergenerationell vererbt werden".  Otto, der Vater, ist Holocaust Opfer, seine Töchter sind es auch. Und das nicht nur, weil sie mit dem grantigen alten und zum Teil tyrannischen Mann zurechtkommen müssen. "Otto hat eben diese Biografie, in der die ganzen Abgründe des 20. Jahrhunderts durchscheinen. Die Töchter haben sie eben nicht mehr. In gewisser Weise werden sie aber trotzdem weitergegeben", ist die Autorin überzeugt.

Jüdische Tradition als gebrochene Tradition

Auch Dana von Suffrin hatte einen jüdischen Vater. Ihr Roman 'Otto' ist sicher keine Autobiografie, obwohl sie darin auch eigene Erfahrungen verarbeitet. Die Autorin fragt nach ihren Wurzeln und nach der jüdischen Tradition ihrer Vorfahren. Was ist davon übrig geblieben? "Mein eigener Vater ist gestorben und ich hatte komischerweise nach seinem Tod das Bedürfnis in die Synagoge zu gehen an Jom Kippur, das ist der höchste jüdische Feiertag, der Tag, an dem auch das Totengebet für die Eltern gesprochen wird", erzählt Dana von Suffrin. "Allerdings war das auch schon wieder gebrochen. Man geht in die Synagoge, aber man betet nicht mit und quatscht nur die ganze Zeit mit anderen Leuten. Diese gebrochene Tradition findet sich durchaus auch in meiner eigenen Biografie".

Vielleicht gibt es doch irgendwo einen Gott?

Mit sehr viel Humor schreibt Dana von Suffrin über eine gebrochene Biografie. Ihr Roman macht Vergangenheit lebendig und stellt Fragen – nach der Bedeutung von Identität, von Herkunft, von Tradition und Religion. Am Ende erklärt der Vater Otto den Töchtern, dass es aber vielleicht irgendwo einen lieben Gott gebe. Und es sei sehr wichtig, seinen Eltern das Totengebet zu sagen. "Das ist ein Gedanke, mit dem ich aufgewachsen bin", sagt die Autorin. Zu einem abschließenden Urteil, ob es vielleicht Gott gebe, sei sie allerdings noch nicht gekommen.


Quelle:
DR