Christian Lehnert über seinen Gedichtband 'Cherubinischer Staub'

Wandern mit den Gestirnen

Auf der Suche nach einem Einklang zwischen Seele und Welt. Der Autor und Theologe Christian Lehnert öffnet in seinem soeben erschienenen siebten Gedichtband Erfahrungsräume, die hinter den Wörtern liegen und lange in uns nachhallen.

"Mir blieb nur die Theologie", sagt Christian Lehnert über seine akademischen Möglichkeiten in der ehemaligen DDR / © Beatrice Tomasetti (DR)
"Mir blieb nur die Theologie", sagt Christian Lehnert über seine akademischen Möglichkeiten in der ehemaligen DDR / © Beatrice Tomasetti ( DR )

"Es kommt uns etwas entgegen und gleichzeitig löst es etwas in uns aus", beschreibt Christian Lehnert seine Erfahrungen mit biblischen Figuren und Texten. "Es sind oft suchende Begegnungen", sagt er. Lazarus, Herodes, Jakob oder die Heiligen Drei Könige, Lehnert greift in seinem neuen Gedichtband 'Cherubinischer Staub' biblische Gestalten und christliche Traditionen auf. "Eine Tradition gibt man nicht weiter, indem man sie genauso bewahrt, wie sie ist", erklärt Lehnert, "sondern indem wir sie uns aneignen und gewissermaßen neu erfinden". Das sei ein fortwährender Rhythmus von Finden und Erfinden, sagt der Autor.

Die Frage nach Gott wurde für mich brennend

Christian Lehnert ist in der DDR aufgewachsen und in einem Elternhaus sozialisiert worden, das mit Religion nichts am Hut hatte, Literatur aber sehr wohl geschätzt hat. "Zunächst entstand mein Interesse für Kirche und Religion aus der Literatur", erzählt er im DOMRADIO.DE Interview. "Ich habe im elterlichen Bücherschrank Gedichte gefunden und habe gelesen und mit dem selbstständigen Erwachen tauchte dann auch die Frage nach Gott auf". Für diese Frage, die plötzlich brennend für ihn wurde, habe es in seinem Umfeld keine Sprache gegeben. Das habe ihn dann zu einer Gemeinde geführt.

Lehnert fühlte sich zur Religion hingezogen. Er studierte evangelische Theologie, er wurde Pfarrer und leitet heute  das Liturgiewissenschaftliche Institut an der Universität in Leipzig. Die Wochenzeitung die ZEIT schrieb einmal über ihn, er sei in die christliche Religion eingewandert. "Religiosität war für mich zuerst einmal ein Erwachen zu eigenem Sprechen und eigenem Denken", sagt er. "Wichtig war dabei der damalige kirchliche Kontext, der in der DDR der achtziger Jahre auch eine letzte Form von anderer Öffentlichkeit war". Dort habe Lehnert gemerkt, so sagt er, wie Wörter eine andere Bedeutung haben können, wie man anders sprechen könne, wie sich die Wirklichkeit anders darstellen könne, wenn bestimmte Bilder eine andere Bedeutung haben.

Wer sind die Cherubim?

Religion und Liturgie erlebte Lehnert als etwas Befreiendes, befreiend auch vom eindimensionalen rein rationalen Denken, das heute oft von einem ökonomischen Optimierungszwang geprägt ist. "Befreiendes aus im Grunde genommen ganz engen Spuren, in denen wir uns bewegen, ganz engen Selbstbildern, ganz engen Lebenshorizonten einer durchökonomisierten und durchrationalisierten Lebenswirklichkeit", sagt Lehnert.

Der neueste seiner inzwischen sieben Gedichtbände ist soeben erschienen. 'Cherubinischer Staub' heißt der Lyrikband und spielt auf die Cherubim an, die himmlischen Heerscharen, die geflügelten Mischwesen aus der Bibel, die in unserer säkularen Welt kaum noch jemand kennt. "Das sind Wesen, die sich wandeln", erklärt der Theologe Lehnert, "die sowohl gleichzeitig innen als auch außen sind – schon immer gewesen. Wenn der Leser mit Cherubim nichts anzufangen weiß, ist er auf der richtigen Spur, wenn er zumindest den Anhauch davon hat, hier ist etwas verborgen".

Räume öffnen, die hinter den Wörtern liegen

Über den Heiligen König Melchior schreibt Lehnert: 'Warum er aufbrach? Er nannte das 'Mitleid'. Mit jener Linie / zwischen Himmel und Erde, die wandert, mit den Gestirnen, / mit den einsamen Göttern, Bewegern von Stürmen / und Menschen, / Selbstmitleid, um es genau zu sagen, nur völlig maßlos'. In einem anderen Gedicht schreibt Lehnert: 'Pupillenrund und rot, der Apfel lockt von weit. / So heißt der kahle Baum: Durchbrochen liegt die Zeit'.

Lehnert hat seinen Lyrikband in drei Teile unterteilt. 'Stille ohne Maß', nennt er den Ersten Teil, dann folgt 'Von der Unruhe'. Der Dritte Teil heißt 'Baumgespräche'. "Ich bin viel im Wald unterwegs", sagt der Dichter. "Das sind im Grunde genommen Ergebnisse eines schöpferischen Lauschens, das zugleich findet und erfindet. Ich habe Dinge, die ich höre oder zu hören meine, in Stimmen verwandelt, so als würden die Bäume selbst sprechen. Sie erzählen dann Geschichten, sie erzählen von ihren Kindern, also von den kleinen Keimlingen, sie erzählen von Stürmen, von Schnee. Gewissermaßen unterhalten sie sich", sagt der Autor.

'Derlei ist in der gegenwärtigen deutschen Lyrik unterreicht und von bleibender Schönheit' schreibt die Tageszeitung TAZ über Lehnerts Buch 'Cherubinischer Staub'. Offenbar habe hier ein Dichter den Mut, auf dem Boden geistlicher Überlieferung erneut einen Einklang von Seele und Welt zu suchen, heißt es weiter in der Zeitung. Wir können uns dieser Leseempfehlung nur leidenschaftlich anschließen, denn Christian Lehnerts Gedichte öffnen Räume, die hinter den Wörtern liegen und lange in uns nachhallen.


Im Zwiegespräch: Domradio-Moderator Johannes Schröer und der Autor Christian Lehnert / © Beatrice Tomasetti (DR)
Im Zwiegespräch: Domradio-Moderator Johannes Schröer und der Autor Christian Lehnert / © Beatrice Tomasetti ( DR )
Quelle:
DR