Bodo Kirchhoff über seine Novelle ´Widerfahrnis´

"Was daraus wird, wissen wir nicht“

"Das Wort ´Widerfahrnis´ ist so wunderbar, weil es den Moment deutlich macht, wo man nur noch den Mund halten kann“, sagt Bodo Kirchhoff. In seiner Novelle ´Widerfahrnis´ erzählt der Autor, wie die Begegnung mit Flüchtlingen ein älteres Paar herausfordert, hilflos macht und in einen neuen Aufbruch befreit.

Bodo Kirchhoff / © Laura J Gerlach (FVA)
Bodo Kirchhoff / © Laura J Gerlach ( FVA )

Reither, so heißt der Held in Bodo Kirchhoffs Buch, ist ein pensionierter Verleger, der sich aus dem Leben zurückgezogen hat. Bis eines Abends eine Frau an seine Tür klopft, Leonie Palm, ebenfalls Rentnerin, überredet ihn, ins Auto zu steigen und loszufahren, einfach so - in den Süden. Auf ihrem Weg ins Sehnsuchtsland Italien begegnen die beiden immer wieder Flüchtlingen, die in entgegengesetzter Richtung unterwegs sind. "Die Sehnsucht der beiden, die in den Süden aufbrechen, ist eine im Bereich des nicht Lebensnotwendigen“, erklärt Kirchhoff, "Flüchtlinge fliehen dagegen, weil sie das Lebensnotwendige nicht haben. Aber vielleicht gibt es doch Berührungspunkte, weil es einen Anteil an Sehnsucht gibt, der völlig jenseits dessen ist, ob ich genug zu essen habe oder ob ich in Sicherheit bin. Das ist eine grundlegende Sehnsucht nach Geborgenheit und Harmonie“.

Die Heilige Familie - ein Flüchtlingsschicksal

In Sizilien trifft das Paar aus Deutschland ein Flüchtlingsmädchen, das sie zu sich an den Tisch einladen, eine Begegnung, die beide erschüttert, aber auch ihre Hilfslosigkeit zeigt. Am Ende der Novelle trifft Reither dann eine Familie aus Afrika, Vater Mutter und Kind, die ihn an die Heilige Familie erinnert, die auch eine Flüchtlingsfamilie war. Er lädt die drei zu sich ins Auto ein und nimmt sie mit. "Sie sitzen im Auto. Der Vater aus Afrika steuert, hinten die Frau und das Kind“, erzählt Kirchhoff, "ich habe die Novelle in dem Augenblick enden lassen, wo wir im Augenblick stehen. Die Flüchtlinge sind da – was daraus wird, wissen wir nicht“. In der Novelle bringen die Flüchtlinge den Helden der Geschichte dazu, sich aus seiner melancholischen Abgeschiedenheit zu befreien und sich neu den Menschen zu öffnen.

Wie kann man über Liebe und Glaube schreiben?

Bodo Kirchhof hat ein spannendes Buch über ein Thema geschrieben, das uns zurzeit alle beschäftigt: Die Flüchtlingskrise - was die Begegnung mit Flüchtlingen für uns bedeutet, und was sie auch auslösen kann. In der Novelle geht es aber auch um die großen Fragen nach Liebe und um den verlorenen Glauben an Gott. Liebe und Gott sind Themen, die kaum in Sprache und Worte zu gießen sind. "Man muss da immer alle Worte vermeiden, die den Eindruck erwecken, damit sei schon alles gesagt“, meint Kirchhoff. Im domradio.de Interview spricht der mit dem deutschen Buchpreis ausgezeichnete Autor auch über Angela Merkels Satz "Wir schaffen das“, über das "Kleinsein“ der Menschen und über die Notwendigkeit von Gleichnissen.