Arno Geiger über seinen Roman "Unter der Drachenwand"

Wie man aus dem Bett des Teufels herauskommt

"Ich fühle mich verdrahtet mit dieser Zeit", sagt Arno Geiger im Domradio.de Interview. In seinem Roman "Unter der Drachenwand" erzählt er die Geschichte eines jungen Wehrmachtssoldaten im Jahr 1944, der schwer verwundet im österreichischen Mondsee Urlaub vom Krieg genehmigt bekommt. In dem Buch stellt Geiger die Fragen nach Freiheit und Schuld und wie Gott den Holocaust und den Krieg zulassen kann.

Der österreichische Schriftsteller Arno Geiger / © Jens Kalaene (dpa)
Der österreichische Schriftsteller Arno Geiger / © Jens Kalaene ( dpa )

Arno Geigers Großvater ist im Krieg gefallen. Sein Vater musste noch mit 17 Jahren an die Ostfront und kam erst nach russischer Kriegsgefangenschaft zurück nach Hause. "So hat der Krieg ganz selbstverständlich eine Präsenz auch in meinem Leben", erzählt Geiger, "mein Vater wollte nie mehr wieder von zuhause weggehen, nachdem er es nach Hause geschafft hat. Wir sind kein einziges Mal in den Urlaub gefahren. Wenn das ein Thema war, dann hat der Papa immer gesagt, ich habe die Welt im Krieg gesehen – ich bleibe zuhause". Sein Vater habe durch den Krieg sein Weltvertrauen verloren, sagt der Autor.

Arno Geiger ist davon überzeugt, dass Weltvertrauen und Gottvertrauen zusammenhängen. In seinem Roman sagt ein katholischer Pfarrer 1944: ´Unser Lebenskarren ist im Schlamm festgefahren. Rückwärts hängt der Teufel dran. Wenn Gott nicht zieht, weil wir ihn nicht vorspannen, wie können wir da herausgelangen´? Man habe sich damals freiwillig mit dem Teufel ins Bett gelegt, sagt Geiger über die Zeit des Nationalsozialismus: "Und gegen Ende des Krieges musste man schauen, wie man aus diesem Bett des Teufels irgendwie wieder herauskommt. Das ist im Jahr 1944 eine ganz dringliche Frage für viele Menschen, die so langsam aufwachen – aus diesem teuflischen Rausch". Aus der Sicht des Pfarrers sei es absolut schlüssig, dass er sagt, wir müssen Gott vorspannen – das bedeute auch den Glauben an etwas Höheres anzurufen. "Dieser Verrohung, die mit dem Krieg einhergeht, will der Pfarrer etwas entgegensetzen", sagt Geiger. In diesem Geist setzt der Autor das Konstruktive, das Verknüpfende, die Liebe, die Zuneigung dem Zerstörerischen entgegen. "Das ist ganz wichtig für mich, dass dieser katholische Geist im Roman ganz selbstverständlich auch anwesend ist".

Wie kann Gott das Leid zulassen?

Um ein Gefühl für das Kriegsjahr 1944 zu bekommen hat der Autor ungezählte Briefe und Tagebücher gelesen. Im Zentrum des Romans steht Veit Kolbe, ein junger Wehrmachts-Soldat, der an der Ostfront schwer verletzt wird. Er kommt in ein kleines Dorf unter der Drachenwand, Mondsee heißt es. Und so erfunden diese Namen klingen mögen, es gibt sie wirklich in Österreich. Wie auch Schwarzindien, ein Ort in der Nähe, in dem Mädchen während des Krieges durch die damals übliche Landverschickung lebten. Auf einem Flohmarkt hat der Autor ein Bündel alter Briefe gefunden, den Briefwechsel dieser Mädchen im Landverschickungsheim – damit habe die Recherche an dem Buch begonnen, erzählt Geiger. Im weiteren Verlauf des Schreibens hat er sich durch die Lektüre ungezählter Tagebücher und weiterer Briefe seinen Figuren im Jahr 1944 genähert.

In den Roman um den Wehrmachtssoldaten Veit Kolbe hat Geiger weitere Handlungsstränge eingewoben. So erzählt der Autor die tragische Geschichte der jüdisch-österreichischen Familie Meyer, die in Ausschwitz endet. Eine Geschichte wie eine Gottesklage. Der gläubige Familienvater Oskar Meyer stellt wie Hiob die große Frage, wie Gott das Leid zulassen kann. Am Ende seines Lebens betet er: "Ich hoffe, die Hände der seligen Eltern sind über mir, und dass der Herr unseren Peinigern alle Zähne zerbricht". Arno Geigers Roman wird hier zu einem klagenden Psalm.

Die Sinnlosigkeit des Krieges und die Schönheit des Lebens

Der Roman "Unter der Drachenwand" hat uns viel zu sagen, über Schuld und Versagen - über die Sinnlosigkeit des Krieges, auch über die Schönheit des Lebens und über die Herausforderungen, unseren Weg ins Leben zu finden. So erzählt Arno Geiger die Geschichte einer Befreiung. Obwohl der Wehrmachtssoldat Veit Kolbe im Krieg lebensbedrohlich versehrt wurde und auch schuldig geworden ist, eine Schuld, die bleibt, so findet er doch ins Leben zurück. Er befreit sich und verliebt sich. "Auch heute schwimmen 90 Prozent der Menschen mit dem Strom der Geschichte", ist Arno Geiger überzeugt, "und wie wichtig es ist, Gestaltungsspielräume zu nutzen, wie wichtig es ist, Dinge nicht aufzuschieben, das müssen wir uns immer vor Augen halten. Veit Kolbe und Margot, seine Zimmernachbarin in Mondsee, sind sich dessen aufgrund des finsteren Hintergrundes von 1944 viel stärker bewußt".


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