Antje Ravic Strubel über den Skandal einer Liebe

"Sturz der Tage in die Nacht"

"Ich stecke in der Rolle des Suchenden fest," denkt der junge Erik zu Beginn des Romans "Sturz der Tage in die Nacht" von Antje Ravic Strubel. Erik ist Mitte Zwanzig, als er im Sommer auf die kleine schwedische Vogelschutzinsel Stora Karlsö kommt. Dort verliebt er sich in die Vogelforscherin Inez. Was aber wie eine leichte, flirrende Liebesgeschichte beginnt, wird zu einem unheimlich abgründigen Liebesabenteuer.

 (DR)

Inez ist sechzehn Jahre älter, sie stammt aus der DDR und hat als junges Mädchen ein Baby zur Welt gebracht, das sie gleich nach der Geburt zur Adoption freigegeben hat. Als nun ein ehemaliger Stasi Offizier auf die Vogelschutzinsel kommt und die Vergangenheit von Inez ans Tageslicht wühlt, erfahren Inez und Erik, dass sie Mutter und Sohn sind.



"Diese inzestuöse Liebe ist natürlich die anarchistischste Form von Liebe", sagt Antje Ravic Strubel im domradio Autoreninterview: "Das Übertreten des Inzesttabus löst Chaos aus, weil es die gesellschaftliche Ordnung durcheinander bringt. Das Inzesttabu regelt im Kern der Gesellschaft, was ist das Eigene und was ist das Andere ist, was gehört zur Familie, und was gehört nicht zur Familie. Wenn ich das außer Kraft setze, gerät die ganze Welt ins Wanken".  In ihrem Roman versucht Ravic Strubel, die Grundfesten des Menschen auszuloten. Was ist das ICH? Was ist Identität? fragt sie: "Ich komme ja aus dem Osten und früher schien mir der Westen immer als bestes Beispiel für Individualität und Freiheit. Wenn ich mich aber heute umschaue, dann orientieren sich die anderen doch immer nur daran, wie die Nachbarn leben und folgen vorgeschriebenen Lebensplänen, und da frage ich mich, wo ist eigentlich die Freiheit des Menschen? Und gibt es überhaupt eine freie Entscheidung?"    



Antje Ravic Strubel / Sturz der Tage in die Nacht / S.Fischer Verlag / 420 Seiten / 19 Euro 95