Anna Katharina Hahn über "Das Kleid meiner Mutter“

"Sich die Maske aus Haut vom Gesicht reißen"

"Es ist schon faszinierend, wie viele unterschiedliche Menschen in einer einzigen Person stecken“, sagt Anna Katharina Hahn. In ihrem neuen Roman "Das Kleid meiner Mutter“ verkleidet die Autorin ihre Romanheldin Anita. Sie zieht das Kleid ihrer verstorbenen Mutter an und lernt eine ihr unbekannte Frau kennen.

Anna Katharina Hahn im Gespräch mit Johannes Schröer / © Katholisches Bildungswerk
Anna Katharina Hahn im Gespräch mit Johannes Schröer / © Katholisches Bildungswerk

Anna Katharina Hahn erzählt vom "Wunsch, sich die Maske aus Haut vom Gesicht zu reißen und ein anderer zu werden“, wie es im Roman heißt: "Wer sonst vermag das? Nur die Kunst, in besonderem Maße die Literatur: Allein durch sie sind wir in der Lage, uns anderen Menschen anzuverwandeln, in ihre Körper, ihre Seelen zu schlüpfen, durch ihre Augen zu sehen“. Anitas Eltern sterben, ihr ist der Boden unter den Füßen weggerissen. Durch eine Verwechslung, durch einen Zufall merkt sie, dass jeder ihrer Nachbarn und Bekannten sie für ihre Mutter Blanca hält, wenn sie nur deren Kleider überstreift. "Sie benutzt dann diese magische Möglichkeit, um erst einmal dem Problem zu entfliehen, und auch um ihr Leben wieder in den Griff zu kriegen in der viel stärkeren und mutigeren Figur ihrer Mutter“, sagt Anna Katharina Hahn.

Spaniens verlorene Generation

Der Roman spielt in Madrid und Anita gehört zur verlorenen Generation. Sie ist eine von unzähligen Südeuropäern, die trotz guter Ausbildung keine Arbeit und Perspektiven haben. Anna Katharina Hahn stellt uns diese Generation fast wie in einer Sozialreportage vor, sehr realistisch und solide. Aber der erste Leseeindruck trügt, denn dann kippt der Roman und die Autorin verführt den Leser, ihr in ein phantastisches Labyrinth verrücktester Volten zu folgen. Da taucht ein mysteriöser Schriftsteller auf, der schwer beladen ist mit deutscher Vergangenheit, am Ende schrumpfen die Eltern und werden zu Puppen.

Literatur und Erlösung

Verwandlungen und Verkleidungen sind ein großes Thema in dem poetischen Welttheater, das Anna Katharina Hahn uns vorführt. Literatur verklärt, verhüllt und versucht "wie die Religion, einen Zustand der Erlösung zu erreichen“, sagt die Autorin. Manchmal meint man sogar im Spiel von Wahrheit und Wandlung einen untergründigen fast katholischen Sound zu entdecken. Das sei vielleicht unbeabsichtigt so, sagt Anna Katharina Hahn: "Ich bin ein spiritueller Mensch, und ich werde nie aufhören, die Frage nach Erlösung zu stellen, und wie wir unser Erdendasein leben - im Hinblick auf etwas, was größer ist als wir selber, und wie man damit umgeht“. Sie sei sehr geprägt von Bildern und Texten des Christentums, erzählt die Schriftstellerin, die katholisch aufgewachsen ist: "Das ist ja auch meine Kindheits- und Leseerfahrung. Ohne Bücher und Religion kann ich nicht leben. Es scheint mir vernünftig zu glauben, und ich bin froh darüber, auch beten und mich an dem Glauben aufrichten zu können. Ein Leben ohne Spiritualität wäre für mich ein leeres Leben“.


Anna Katharina Hahn im domradio.de Interview / © domradio
Anna Katharina Hahn im domradio.de Interview / © domradio