Anja Kampmann über ´Wie hoch die Wasser steigen´.

Was ist Freiheit wert?

"Den Roman durchzieht ein Schauen und Suchen", sagt Anja Kampmann im DOMRADIO.DE Interview. In ´Wie hoch die Wasser steigen´ erzählt die Autorin die Geschichte eines Mannes, der um die Welt reist, Abenteuer und Freiheit erlebt und durch einen großen Verlust aus der Bahn geworfen wird.

Anja Kampmann / © Johannes Schröer (DR)
Anja Kampmann / © Johannes Schröer ( DR )

Waclaw Wenzel arbeitet auf Ölplattformen. Er verdient viel Geld und genießt das Leben in absoluter Freiheit. Mit seinem Freund Matyás reist er um die Welt, spielt in Casinos, liebt und lebt. "Wenn sie irgendwohin fahren, dann kaufen sie sich die Klamotten und lassen sie dann in den Hotelzimmern liegen. Die Menschen, die Geliebten – alles ist austauschbar", erzählt die Autorin. Das Leben der Bohrarbeiter sei schnell - mit immer neuen Leute in den Bordcrews auf den Ölplattformen. Waclaw Wenzel stammt aus dem Ruhrgebiet. In einer katholischen Bergarbeiterfamilie ist er aufgewachsen. Er beschließt aus der engen Welt der Kindheit zu fliehen. Anja Kampmanns Roman lebt von dem Widerspruch, sehr viel Geld in kurzer Zeit zu verdienen, ein freies Leben zu führen, aber dafür auch einen hohen Preis zu zahlen.

Das warme, enge Nest der Kindheit

Waclaws Ankerpunkt im Rausch des schnellen Lebens ist sein bester Freund Matyás. Als der bei einem Sturm ins Wasser gerissen wird und stirbt, bricht Waclaws Welt zusammen. Um etwas zu tun, um dem Unverständlichen und dem Verlust eine Form zu geben, bricht er auf und sucht nach den Spuren des Freundes in dessen Heimat Ungarn, "denn er hat kein Gefühl für das, was geschehen ist", sagt Anja Kampmann. Waclaw erkennt, dass vom schnellen Leben auf den Ölplattformen nichts übrig geblieben ist. Er pilgert zurück in seine alte Heimat, ins Ruhrgebiet, wo er sich als Kind geborgen gefühlt hat. "Diese Kindheit im Ruhrpott ist eine Konstante, wie ein warmes Nest, aus dem er gekommen ist – und gleichzeitig etwas, dem er unbedingt entkommen wollte. Das ist die Ambivalenz, in der er steckt", sagt die Autorin.

Eine Klage - wie in einem Psalm

Manchmal hört Waclaw, wie ein Grundrauschen, die Töne der Kindheit, auch der katholischen Kindheit, wenn er zum Beispiel in einer Kirche Orgelmusik hört. "Wenn er irgendwo in der Welt unterwegs ist, dann geht er auch mal in eine Kirche und schaut sich das an, aber nicht weil er einen klaren Bezug dazu hat, sondern es ist wirklich so ein Schauen und Suchen", sagt Kampmann. Das große Versprechen der Freiheit sei sicher nicht die absolute Freiheit des einzelnen Individuums, das da draußen in der Welt verloren geht, ist die Autorin überzeugt, "sondern ist idealerweise eine Freiheit, die doch in einer Gemeinschaft stattfindet".

Ohne Gemeinschaft und Freunde hat das Leben keinen Sinn. Der einzige Freund fehlt und Waclaws einsame Suche nach einem Sinn ist auch eine große Klage, die in der bildreichen Sprache von Anja Kampmann oft wie ein Klagepsalm aus der Bibel klingt. "Ich habe schon versucht, Szenen zu schreiben, die zeitlos sind", erzählt die Autorin. "Ich fand den Kontrast spannend, dass man einerseits diese sehr moderne auch technische Lebenswelt hat, in der das alles spielt, und gleichzeitig aber diese Erfahrung, die er macht, in einem Bereich anzusiedeln, der allen vertraut ist – und auch schon länger vertraut".


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