Angelika Klüssendorf über ihren Roman "Jahre später"

Was heißt Erwachsensein?

Kann man sich von seiner Kindheit befreien, wenn diese Kindheit eine Hölle war? In dem neuen Roman von Angelika Klüssendorf "Jahre später" versucht sich die versehrte Romanheldin April zu befreien, indem sie sich in die Ehe mit einem stark wirkenden Macho-Mann stürzt. Doch die Ehe scheitert.

Angelika Klüssendorf / © Alex Reuter
Angelika Klüssendorf / © Alex Reuter

"Das ist eine Liebe zwischen zwei extremen Figuren", sagt Angelika Klüssendorf, "die beiden treffen sich, sie ziehen sich an – auch indem sie viel Quatsch machen." Das Beziehungsdrama "Jahre später" beginnt als heitere Liebesgeschichte. Ludwig und April lieben sich. Er ist ein anerkannter Chirurg, sie eine Frau, die ihren Platz im Leben sucht. Die beiden tanzen durch die Tage, machen Quatsch, lieben sich von Herzen. Ludwig und April, das ist aber auch ein ungleiches Paar, denn schnell wird klar, dass er ein Macho ist, ein Narziss. April dagegen eine Frau, die aus einer Kindheitshölle kommt. Die Autorin Angelika Klüssendorf sagt, solche Macho-Typen seien "für versehrte Seelen wie April sehr anziehend, weil sie denken, diese Macho-Männer führen die Kriege für einen selber, die man sich selbst nicht zu führen traut. Auch April ist zu feige, in die Welt hinauszugehen und sich zu zeigen und zu sagen, hier bin ich. Genau das tut Ludwig für sie."

Was ist Glück?

Ludwig, der Narziss und April, die versehrte Frau, beide wirken nicht erwachsen, beide hängen in ihren schwierigen Persönlichkeiten fest. Aber wirklich Erwachsen? Wer ist das überhaupt? "Erwachsensein heißt, glaube ich, dass man weiß, was man möchte", vermutet Klüssendorf, "wobei die größte und schwierige Frage ist, was will ich wirklich? Und was wäre, wenn der gesellschaftliche Blick weg wäre? Was wäre ich dann?" fragt die Autorin weiter. In diesem Kontext müsse man die Frage nach dem Erwachsensein beantworten.

April sucht das Glück. Als Kind ist sie von ihrer Mutter geschlagen und gedemütigt worden. Sie ist dann im Heim aufgewachsen. Für die Romanheldin April sei Glück die Abwesenheit von Angst, sagt Klüssendorf. "April würde das Wort Glück nicht oft in den Mund nehmen. Sie würde eher Freude sagen. Freude ist etwas wichtiges in ihrem Leben. Desto weiter das Buch zum Ende geht, wird sie lernfähiger, Freude auch zu empfinden." Angelika Klüssendorf macht einen Unterschied zwischen Glück und Freude. Von Glück und dem alles überwölbenden Glücksanspruch unserer Zeit hält die Autorin nicht viel. "Glück ist so ein hysterisches Gefühl. Freude ist bodenständiger. Man steht da, man macht an einem Herbsttag die Augen zu, man riecht irgendetwas Bekanntes und denkt einfach, ich bin da. Das ist Freude."

Klüssendorf: "Das Aufschreiben von Geschichten ist mein Zuhause"

Am Ende des Romans beginnt April ihre Geschichte aufzuschreiben. Im Erzählen ihrer Geschichte findet die Romanheldin ihren Weg ins Leben. Sie trennt sich von Ludwig und schafft es über das Aufschreiben ihrer Lebensgeschichte eine Beziehung zum Leben aufzubauen, denn "April kann zum ersten Mal schreiben", sagt die Autorin. "Und dann möchte ich die Kurve zu mir bekommen. Wenn man mich fragen würde, was Heimat oder Zufriedenheit bedeutet, dann ist das – ich mache den Computer an, und ich sehe die Schrift vor mir, das, was ich geschrieben habe. Diese Chiffren machen mich ruhig, da bin ich zuhause. Alles andere kann ich häufig nicht entziffern, aber meine Arbeit ist mein zuhause."


Quelle: