Die Pflegebranche drückt bei der Digitalisierung aufs Tempo

Zu viel Technik auf einmal

Der digitale Wandel hat die Pflegebranche voll erfasst. Das kann sehr nützlich sein - aber vieles geschieht auch übereilt und ohne Strategie.

Autor/in:
Sebastian Stoll
Frau mit Tablet / © Felix Kästle (dpa)
Frau mit Tablet / © Felix Kästle ( dpa )

Birgit Bruns erinnert sich gut daran, wie die Sache mit den iPads bei ihr auf der Station ankam: Viele Kollegen waren aufgeschlossen, manche sogar euphorisch. Einige Ältere waren aber verunsichert, als sie erfuhren, dass sie die Dokumentation von Wundheilungen nun mit diesem, ihnen fremden Gerät machen sollten, sagt Bruns, Pflegeleiterin im Dortmunder Hüttenhospital.

Digitalisierung in der Pflege: ein Prozess, dem sich längst nicht jede Fachkraft gewachsen sieht. Dabei war in der Dortmunder Klinik klar: Alle auf der Krankenstation würden so schneller Zugriff auf die Daten der Patienten haben. "Aber da waren eben auch Mitarbeiter dabei, die in den Jahren zuvor schon Probleme hatten, sich an einen Arbeitsplatz mit einem PC zu setzen. Und die sollten nun mit einem Tablet durch die Station - das hat die erst mal überfordert."

Was kann Technik tun?

In der Pflege hält die Digitalisierung derzeit rapide Einzug – und das klappt manchmal gut und manchmal überhaupt nicht. So jedenfalls lautet das Ergebnis einer Untersuchung der gewerkschaftsnahen Hans Böckler Stiftung. Für die Studie "Wie Technik die Pflege stärken kann" haben Forscher verschiedener Institute rund 600 Klinikbeschäftigte über den Technikeinsatz befragt. "Wir müssen wegkommen von der Pauschal-Diskussion, ob Technik gut oder böse ist. Es geht darum, wie man Arbeit besser organisieren kann", sagt Mitautorin Michaela Evans vom Institut für Arbeit und Technik der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen.

Den Forschern zufolge hat die Digitalisierung in der Pflege bereits sehr viele Bereiche erfasst: Es gebe neben der elektronischen Dokumentation beispielsweise Telemonitoring und GPS-Überwachungssysteme für Menschen mit Demenz, viele neue Hebe- und Tragesysteme für Menschen mit Mobilitätseinschränkung, automatische Stunden- oder Tourenplanung und mehr. Was für sich genommen das Potenzial habe, Abläufe simpler und effizienter zu gestalten, könne in der Praxis Pflegekräfte und Pflegebedürftige überfordern. "Wenn ein digitaler Pflegeassistent Arbeitsschritte vorgibt, kann das eine wertvolle Orientierung sein. Es kann aber auch Druck entstehen, weil der Mitarbeiter nicht hinterherkommt oder das Gefühl hat, er verliere Handlungsautonomie."

Digitalisierungs-Euphorie in der Pflegebranche

Die Studienautoren kritisieren, dass vielen Pflegebetrieben eine digitale Gesamtstrategie fehle: "Die Idee in vielen Einrichtungen ist: 'Wir möchten effizienter werden.' Das wird aber nicht richtig angegangen, daher geschieht genau das Gegenteil", sagt Evans. Leitlinie sei oft: "Was gibt es?" statt: "Was hilft uns?"

In der Pflegebranche herrsche nahezu eine Digitalisierungs-Euphorie: So will jede dritte Einrichtung in diesem Jahr mindestens 20.000 Euro in die Digitalisierung investieren, zehn Prozent der Befragten sogar über 100.000 Euro - das belegen die Zahlen des "Investitionsbarometers Altenpflege", die im März erhoben wurden. Und auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kündigte zu seinem Amtsantritt an, in dieser Legislaturperiode die Digitalisierung zu einem Schwerpunkt zu machen.

Birgit Bruns vom Dortmunder Hüttenhospital sagt, worauf es aus ihrer Sicht ankommt, um auch die Technik-Skeptiker zu überzeugen: "Wir haben das so gelöst, dass wir viel mit den Kollegen unterwegs waren und sie bei der Einführung sehr an die Hand genommen haben."


Quelle:
epd