​Zehntausende demonstrieren für den Wert der Wissenschaft

"Wir dürfen uns nicht dümmer stellen als wir sind"

​Zehntausende Menschen haben am Samstag weltweit für die Freiheit der Wissenschaft demonstriert. Sie wandten sich auch in Deutschland gegen Versuche, Forschungserkenntnisse verächtlich zu machen und "alternative Fakten" zu verbreiten. 

"March for Science" in Frankfurt / © Boris Roessler (dpa)
"March for Science" in Frankfurt / © Boris Roessler ( dpa )

Allein in Berlin kamen nach Angaben der Veranstalter unter dem Motto "Wissenschaft ist keine Meinung, alternative Fakten sind Lügen" rund 11.000 Menschen zusammen, darunter viele Wissenschaftler. Bundesweit fanden vor allem in Universitätsstädten zahlreiche Demonstrationen statt. Der Hauptprotestzug des "March for Science" zog am Weißen Haus in Washington vorbei. 

Auslöser der Aktion waren die Politik von US-Präsident Donald Trump und dessen Versuche, Erkenntnisse zum Klimawandel zu leugnen und bei unliebsamen Wissenschaftsdisziplinen zu kürzen. Auch in Russland, der Türkei und Ungarn gab es zuletzt Maßnahmen der Regierungen gegen Universitäten und Wissenschaftsfreiheit.

"Forschen statt Faken"

"Wir können nicht akzeptieren, dass in Zeiten, in denen der Mensch diesen Planeten verändert wie nie zuvor in der Geschichte, Entscheidungen getroffen werden, ohne auf wissenschaftliche Fakten zurückzugreifen", sagte der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Martin Stratmann, beim "March for Science" in München. "Wir dürfen uns nicht dümmer stellen, als wir sind." Rund 3.000 Menschen gingen in München nach Polizeiangaben auf die Straße. "Forschen statt Faken" und "Make Science Great Again" hieß es auf Transparenten in Anspielung auf den Slogan von US-Präsident Donald Trump "Make America Great Again".

Der Forschungsleiter am Deutschen Museum in München, Helmuth Trischler, sagte: "Wenn das Leugnen des Klimawandels mehrheitsfähig geworden ist und Fakten Alternativen bekommen, genügt es nicht mehr, wenn Wissenschaftler im Wesentlichen nur unter sich selbst kommunizieren.» Das Organisationsteam in München betonte, die Demonstration sei keine Anti-Trump-Veranstaltung. Das Leugnen gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse sei ein weltweites Problem.

In Berlin gab es am Mittag eine erste Kundgebung an der Humboldt-Universität am Boulevard Unter den Linden. Anschließend zogen die Demonstranten vor das Brandenburger Tor. Auf Transparenten und Schildern war unter anderem zu lesen: "Alternative Fakten zählen nicht im OP".

"Freiheit von Wissenschaft und Forschung erhalten"

Weltweit wollten am Samstag Menschen in mehr als 600 Städten auf die Straße gehen. Den Wissenschaftlern und Aktivisten geht es auch darum, die Freiheit von Wissenschaft und Forschung zu erhalten. Die Märsche hatten sich aus dem Frauenmarsch auf Washington am Tag nach der Vereidigung von Donald Trump zum US-Präsidenten in diesem Januar entwickelt.

Viele Wissenschaftler sind derzeit wegen der Zurückweisung wissenschaftlicher Erkenntnisse etwa zum Klimawandel und zur Sicherheit von Impfstoffen durch Politiker, aber auch in Teilen der Gesellschaft in Sorge. Der 22. April ist der Tag der Erde (engl.: Earth Day).

Yogeshwar: Alternative Fakten schüren Ängste

Der Geophysikprofessor Peter Schlosser von der New Yorker Columbia Universität bekundete im DeutschlandRadio Kultur die Hoffnung, dass der "March for Science" ein Bewusstsein für die Bedeutung der Forschung für die Gesellschaft schaffe. Der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar sagte dem Berliner "Tagesspiegel", statt gesicherter Erkenntnisse würden derzeit Vorurteile und alternative Fakten verbreitet, um Ängste zu schüren und Stimmung zu machen.

Selbstkritisch äußerte sich die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, Jutta Allmendinger. Dem SWR sagte sie, die Wissenschaftler hätten sich in der Vergangenheit nicht genügend Mühe gegeben, die Bürger mitzunehmen. "Wir müssen uns bewusst sein, dass wir von Steuergeldern leben und von daher auch eine Verantwortung an uns selbst richten, unsere Ergebnisse zu kommunizieren." Auch die wachsende soziale Kluft in der Gesellschaft schwäche die Akzeptanz der Forschung: "Ganz besonders in Deutschland sind die Chancen sehr ungleich verteilt, in die Wissenschaft überhaupt hereinzukommen."

Die Präsidentin des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD), Margret Wintermantel, sagte in Bonn: "Lassen Sie uns also gegen jeden Populismus und gegen den Anspruch Einzelner, das Volk zu sein, eintreten."


"March for Science" in Berlin  / © Jörg Carstensen (dpa)
"March for Science" in Berlin / © Jörg Carstensen ( dpa )
Quelle:
dpa , KNA , epd