Räumung des Flüchtlingscamps von Calais angelaufen

In eine ungewisse Zukunft

In Frankreich ist die Räumung des Flüchtlingslagers von Calais angelaufen. Viele Hilfsorganisationen kritisieren die Umsetzung. Die Organisation Cap Anamur bemängelt, man hätte in den vergangenen Jahren akiv werden müssen.

Die Räumung des Flüchtlingscamps von Calais ist angelaufen / © Etienne Laurent (dpa)
Die Räumung des Flüchtlingscamps von Calais ist angelaufen / © Etienne Laurent ( dpa )

Mit der Räumung des als "Dschungel" von Calais bekanntgewordenen Flüchtlingslagers sieht das Mitglied der Hilfsorganisation Cap Anamur, Frank Jablonski, keine Hoffnung, dass sich die Lage bessert. Er halte das Vorhaben, das Lager in der französischen Hafenstadt innerhalb  einer Woche zu räumen, für "eher falsch", sagte Jablonski am Montag SWRinfo.

"Man hätte in den letzten Jahren aktiv werden müssen - mit Sozialarbeitern, mit Betreuern, mit Möglichkeiten, Asylanträge zu stellen", sagte Jablonksi. Die Zustände in dem Camp seien katastrophal. Es habe sich auf einer Müllkippe am Rande der Stadt entwickelt. Trotzdem wollten etliche Flüchtlinge den Ort nicht verlassen. Die Menschen seien in weiten Teilen nicht bereit, ihre Verteilung auf reguläre Flüchtlingslager zu akzeptieren. "Die haben das ganz klare Ziel, nach Großbritannien zu gelangen zur Familie."

Jablonski sagte, er erwarte zwei mögliche Reaktionen der Flüchtlinge. "Die werden jetzt entweder das Lager verlassen und sich in den umliegenden Wäldern verstecken, dort campieren und es wird ein neues Lager entstehen, oder ich befürchte, dass es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen wird."

Registrierung angelaufen

Die Registrierung der Migranten aus dem Flüchtlingscamp in Calais ist am Morgen angelaufen. "Das ist ein wichtiger Tag. Der Staat macht eine beträchtliche Anstrengung», sagte der Sprecher des Pariser Innenministeriums Pierre-Henri Brandet. Vor dem Registrierzentrum in der Nähe des Camps warteten mehrere hundert Menschen.

Sie sollen dort befragt werden, bevor sie auf ganz Frankreich verteilt werden. Ein Asylverfahren findet dort noch nicht statt. Den Menschen sollen zwei Regionen vorgegeben werden, zwischen denen sie wählen können. Ausgenommen sind der Großraum Paris und Korsika.

"Keiner wird gezwungen"

Man setze darauf, dass sich die Menschen freiwillig melden, sagte Brandet. "Keiner wird gezwungen, sich in einen Bus zu setzen." Seit langem arbeiteten die Behörden mit Hilfsorganisationen zusammen, um die Menschen davon zu überzeugen, das Lager zu verlassen. Es sei nicht geplant, die Zelt- und Hüttensiedlung, in der zuletzt etwa 6500 Menschen illegal lebten, noch am Montag einzureißen. Die Räumung soll etwa eine Woche lang dauern, im Einsatz sind nach offiziellen Angaben rund 1250 Polizisten.

In der Nacht zum Montag kam es erneut zu Zusammenstößen zwischen Migranten und Sicherheitskräften. Bereits in der Nacht zuvor hatte es Ausschreitungen gegeben. Aus aus einer Gruppe von mehreren Dutzend Menschen flogen Steine auf Polizisten, die dann Tränengas einsetzten.

Behörden: Auflösung ist risikoreich

Selbst von Behördenseite wird eingeräumt, dass die Auflösung der Hütten- und Zeltstadt vor den Toren von Calais risikoreich ist. "Es wird am Montag sehr viele Menschen geben. Die Flüchtlinge denken, dass es nicht genug Platz gibt", sagte die Präfektin des Départements Pas-de-Calais, Fabienne Buccio, der Deutschen Presse-Agentur und anderen internationalen Medien. Der Eindruck sei jedoch nicht richtig, denn 7.500 Aufnahmeplätze stünden zur Verfügung.

Buccio sagte, die Flüchtlinge seien rechtzeitig informiert worden. Sie setzt darauf, dass sich die Menschen freiwillig in einer neu eingerichteten Halle bei der Einwanderungsbehörde melden. Sie könnten dann zwischen zwei Regionen in Frankreich wählen. "Wir werden diese Menschen aufnehmen", sagte sie. Der Staat hatte aber bereits mehrfach deutlich gemacht, dass für eine menschenwürdige Unterbringung ein Asylantrag gestellt werden muss. Wer kein Recht auf Asyl hat, soll ausgewiesen werden.

"Bewusstseinswandel unter den Flüchtlingen"

Unter den Flüchtlingen gibt es laut Buccio einen Bewusstseinswandel, denn die Lage am Ärmelkanal habe sich in den vergangenen Jahren grundsätzlich geändert. "Die Grenze zu Großbritannien ist dicht. Es ist sehr gefährlich, Kurs auf das Vereinigte Königreich zu nehmen, einige Migranten haben ihr Leben dabei verloren."

Die Behörden stellen sich darauf ein, bereits am ersten Tag bis zu 3000 Menschen in Bussen von Calais aus in andere Orte zu bringen. 60 Busse seien im Einsatz, sagte Serge Szarzyncki, Leiter des Sozialdienstes vom Département. Auch an den folgenden Tagen seien Dutzende Busse im Einsatz.

In der Nacht war es einem Sprecher der Präfektur zufolge zu einigen Zusammenstößen gekommen, als Migranten versucht hatten, auf eine nahegelegene Autobahn zu gelangen. Sie seien von der Polizei zurückgedrängt worden. Es habe keine Verletzte gegeben.

Tatsächliche Flüchtlingszahl unklar

Das Flüchtlingslager von Calais ist Frankreichs größter Slum. Hinter Chemiefabriken und einer Autobahn leben nach offiziellen Angaben etwa 6.500 Menschen. Sie kommen aus armen Ländern wie Äthiopien, Eritrea, Afghanistan und dem Sudan. Die Zahlen gehen weit auseinander.

Hilfsorganisationen sprachen im Sommer sogar von mehr als 10.000 Migranten, die sich dort aufhalten. Mehrere Migranten kamen auf dem Weg auf die Insel bereits ums Leben. Großbritannien ist nicht weit, nach Dover sind es nur rund 40 Kilometer. Calais hat einen großen Fährhafen, der Kanaltunnel ist nahe.


Quelle:
KNA , dpa