Vor 75 Jahren überfiel Hitler die Sowjetunion

Der Anfang vom Ende Hitlers

Der Zweite Weltkrieg hat überall großes Leid gebracht, Millionen Menschen das Leben gekostet. Doch nirgendwo hat Hitler-Deutschland so brutal Krieg geführt wie im Osten. Zu Beginn 1941 erlitt die Sowjetunion ihre schlimmsten Verluste.

Autor/in:
Friedemann Kohler
Ende November 1942 wurden die deutschen Soldaten bei Stalingrad von der sowjetischen Armee eingekesselt (dpa)
Ende November 1942 wurden die deutschen Soldaten bei Stalingrad von der sowjetischen Armee eingekesselt / ( dpa )

Es waren die Morgenstunden des 22. Juni 1941: Der nationalsozialistische Diktator Adolf Hitler schickte drei Millionen Soldaten zum Angriff im Osten. Vor 75 Jahren überfiel das Deutsche Reich die Sowjetunion, deren Machthaber Josef Stalin nicht darauf gefasst war. Der zwei Jahre zuvor von Deutschland entfesselte Eroberungskrieg in Europa eskalierte erneut.

Für die Menschen in den überrannten sowjetischen Gebieten, im heutigen Weißrussland, in der Ukraine, im westlichen Teil Russlands, war es der nackte Terror. Sie waren der brutalen, gegen jedes Gesetz verstoßenden Kriegführung Hitlers ebenso ausgeliefert wie der anfänglichen Unfähigkeit Stalins zur Gegenwehr. So viele Menschen die Sowjetunion insgesamt im Zweiten Weltkrieg verloren hat - zu keiner Zeit wurde mehr Leben zerstört als in den ersten Wochen und Monaten des deutschen "Blitzkriegs" im Osten.

Krieg trotz Pakt

Dabei war die Sowjetunion seit 1939 am Krieg beteiligt als Angreifer und Nutznießer. Die Erinnerung im heutigen Russland konzentriert sich auf den Sieg im "Großen Vaterländischen Krieg" 1941-45. Ausgeblendet wird, dass Hitler und Stalin im August 1939 einen Nichtangriffspakt geschlossen hatten. In einem Geheimprotokoll teilten sie den Osten Europas auf. So wie das Deutsche Reich im September 1939 den Westen Polens eroberte, besetzte die Sowjetunion Ostpolen und verleibte sich 1940 die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen ein.

Trotz des Paktes bereitete Hitler einen Krieg gegen die Sowjetunion vor. "Dieser kommende Feldzug ist mehr als nur ein Kampf der Waffen; er führt auch zur Auseinandersetzung zweier Weltanschauungen", sagte er im März 1941. Der Nationalsozialismus sollte den Kommunismus besiegen, die eroberten Gebiete wollte das Dritte Reich besiedeln und ökonomisch ausbeuten. Hitler stimmte seine Armee darauf ein, diesen Feldzug noch brutaler zu führen als die Kampagnen im Westen Europas: "Der Kommunist ist vorher kein Kamerad und nachher kein Kamerad."

Wehrmacht nahm Kiew und Minsk ein

Auf sowjetischer Seite hatte Stalin die Verteidigungsfähigkeit dagegen geschwächt. Die Spitze der Roten Armee war dem Terror, dem erbittertem Vorgehen des Diktators gegen echte und vermeintliche Feinde zum Opfer gefallen. 1937 wurde der populäre Marschall Michail Tuchatschewski erschossen. Den drohenden deutschen Angriff wollte Stalin trotz Warnungen seiner Geheimdienste nicht wahrhaben. Nach dem 22. Juni 1941 tauchte er zunächst ab. "Stalin verhielt sich in den ersten Kriegstagen hektisch, er schien verwirrt und reagierte lediglich auf die Entwicklungen, statt selbst die Initiative zu ergreifen", schreibt der russische Historiker Oleg Chlewnujk in einer Stalin-Biografie.

Die Folgen auf dem Schlachtfeld waren verheerend. Die deutsche Wehrmacht stieß fast ungehindert vor. Die sowjetischen Truppen wurden eingekesselt und aufgerieben, ihre Flugzeuge am Boden zerstört. Großstädte wie Kiew und Minsk fielen in die Hand der faschistischen Eroberer. In den ersten Monaten des Feldzugs wurden jeden Tag 21.000 Rotarmisten getötet, verwundet oder gefangen genommen, das haben Militärhistoriker später berechnet. Von den 11,3 Millionen getöteten sowjetischen Soldaten kam mehr als ein Viertel allein in dem halben Jahr bis Ende 1941 ums Leben.

Die "Bloodlands" Europas

Die Wehrmacht nahm 1941 nach eigenen Aufzeichnungen 2,56 Millionen Rotarmisten gefangen. Allein 300.000 waren es bei Grodno und Minsk, 665.000 bei Kiew, ebensoviele bei Brjansk im Westen Russlands. Für die meisten bedeutete die Gefangenschaft den Tod. Hinter der Front ermordeten Sonderkommandos der SS die jüdische Bevölkerung. Allein in der Schlucht Babi Jar in Kiew wurden an zwei Septembertagen 34.000 Juden erschossen. Die westlichen Teile der Sowjetunion waren die "Bloodlands" Europas, so der Historiker Timothy Snyder.

"Fast anderthalb Jahre schob sich die Feuerwalze nach Osten, verbrannte auf ihrem Weg Dörfer, zerstörte die Städte, vernichtete die Zivilbevölkerung", schreibt der russische Historiker Grigori Kriwoschejew. Bis Ende 1942 rückten Hitlers Truppen noch in der Sowjetunion vor. Doch der Feldzug trug von Anfang an den Keim des Scheiterns in sich. Auch die Wehrmacht verlor 1941 eine Million Mann als Tote oder Verwundete im Osten, von denen nur 450.000 ersetzt werden konnten. Vor Moskau und Leningrad kamen die deutschen Truppen schon im Herbst 1941 zum Stehen.

In einer gewaltigen Kraftanstrengung warf die Sowjetunion Menschen und Material in den Krieg. Die Rüstungsproduktion wurde hochgefahren, auch mit Hilfe der Westalliierten USA und Großbritannien. Im Winter 1942/43 brachte die Schlacht von Stalingrad die Wende. Ab dann waren die faschistischen Eroberer auf dem Rückzug. Die sowjetische Armee rückte vor, bis im Mai 1945 Berlin erobert war. Fast 27 Millionen Menschen verlor die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg. "Der Preis des Sieges war hoch", schreibt Kriwoschejew. "Aber die Opfer waren nicht vergebens."


Quelle:
dpa