Kurzgeschichten über die Generation Krise

Von Syrien über Kenia nach Brasilien

Die Generation der 25- bis 35-Jährigen ist global vernetzt. Nachrichten und Stimmungen verbreiten sich über Grenzen. Doch latent lauere immer ein Gefühl der Krise, behauptet ein neues Buch. Den Anstoß gab ein 28-jähriger Deutscher.

Autor/in:
Christoph Arens
Griechische Studentinnen (dpa)
Griechische Studentinnen / ( dpa )

"Ich heiße Mohammad Al Bdewi. Dies ist meine Geschichte." Auf knapp 15 Buchseiten erzählt der junge Syrer, wie sich am 18. März 2011 sein Leben für immer veränderte. Wie syrische Regierungstruppen in seiner Heimatstadt Daraa auf Demonstranten schossen. Wie er selber in den folgenden Tagen voller Wut die Gewalt der Armee mit Handyfotos dokumentierte und die Bilder im Internet hochlud. Wie ein Schuss sein Gesicht zerfetzte und er nach Ägypten fliehen musste.

"Freiheit. Wie oft hatte ich mich schon gefragt, was dieses Wort bedeutet", schreibt Mohammed in dem gerade im Leipziger Verlag Edition Hamouda herausgekommenen Buch "The Crisis Inside" (Die Krise im Innern). Und ein paar Seiten später: "Nachdem ich ein Revolutionär in Syrien war, wurde ich zum Flüchtling."

Junger Historiker aus Bad Honnef hatte die Idee

Nicht jeder der 18 jungen Autoren von allen fünf Kontinenten, die zu dem internationalen Kurzgeschichten-Projekt beigetragen haben, hat so dramatische Ereignisse zu Papier gebracht. Doch alle verbindet eines: das Lebensgefühl einer Krise.

"Es gibt in unserer Generation ein latentes Gefühl von Krise", meint der aus Bad Honnef bei Bonn stammende Historiker Julian Tangermann, der die Idee zu dem Buchprojekt hatte und seit 2011 die Autoren zusammengebracht hat. In Zeiten der Globalisierung verbreite sich dieses Gefühl wie ein Virus, so der 28-Jährige.

Zu wehleidig?

Ob der Begriff der "Generation Krise" nicht zu wehleidig ist? Tangermann findet das nicht. Schließlich seien es vor allem die jungen Leute in Spanien, Italien und Griechenland, aber auch in vielen arabischen Staaten und der Türkei, die arbeitslos und ohne Perspektiven seien und auf die Straße gingen. „Unsere Generation ist weltweit gut vernetzt über Reisen, schnelles Internet und soziale Netzwerke. Und wir merken, dass etwas aus den Fugen geraten ist. Dass etwas nicht stimmt.“

Tangermann ist selber ein gutes Beispiel für diese vernetzte Generation: Er hat in Marburg, Madrid und Leiden Geschichte, Orientwissenschaft und Migrationsgeschichte studiert, arbeitet derzeit bei der staatlichen "Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)" in Frankfurt im Bereich Migration und hält über die sozialen Netzwerke Kontakt zu zahlreichen Freunden in Lateinamerika und Afrika.

Autorenteam fand sich über soziale Netzwerke

Die Idee zu dem Buchprojekt hatte er 2011, als Freunde in Brasilien und Ägypten zufällig fast zeitgleich Bücher veröffentlichten, die sich mit den sozialen Protesten und den Umwälzungen in ihren Heimatländern befassten. Nach und nach fand sich über die sozialen Netzwerke ein internationales Team aus Autoren und Übersetzern aus insgesamt über 30 Ländern. Alle - ehrenamtlich arbeitenden - Autoren bekamen nur die eine Vorgabe: "Schreibt eine Kurzgeschichte über die innere Krise, was immer sie für Euch und Eure Gesellschaften bedeutet", so beschreibt der Herausgeber den Auftrag. Absprachen untereinander durfte es nicht geben.

Da alle Autoren in ihrer Muttersprache geschrieben haben, ist die Anthologie schon von Anbeginn ein vielsprachiges Buch: Neben den Originalen in zwölf verschiedenen Sprachen, von Arabisch über Japanisch bis Spanisch oder Holländisch, findet sich je eine deutsche Übersetzung. Das Buch soll bald auch auf Englisch erscheinen.

Vorwort von Benedict Wells

"Alle reden von Krise - doch die Krise hat weltweit ganz unterschiedliche Gesichter", sagt Tangermann mit Blick auf die sehr vielfältigen Themen. Da sind die sozialen Konflikte in Spanien und Griechenland, die Kriege in der Ukraine und in Syrien. Aber da gibt es auch das junge Paar, das angesichts der Wohnungsnot in Hongkong keine eigene Bleibe findet, den Liebeskummer und die Zerrissenheit einer kenianischen Einwanderin in Holland oder die Angst eines weltenbummelnden Deutschen vor dem Verlust seiner Identität.

"Wir sind alle unterschiedlich. Und wir sind alle gleich", so fasst Benedict Wells, gefeierter Jungschriftsteller und Filmemacher, im Vorwort zu dem Buch seine Eindrücke von den Geschichten zusammen.

"Krise ist immer auch die Chance, Grenzen zu überwinden, Mitgefühl zu empfinden. Denn im Schmerz sind wir vereint."

 

 

 

 


Quelle:
KNA