Wie Guben deutsch-polnische Doppelstadt wurde

Aus eins mach zwei

Vor 25 Jahren bekannten sich Bundestag und DDR-Volkskammer zur Endgültigkeit der Oder-Neiße-Grenze. Die polnische Westgrenze verläuft quer durch einige Städte, die nach dem Zweiten Weltkrieg geteilt wurden. Und wie sieht es dort heute aus?

Autor/in:
Anna Ringle
Ortsschild Guben - Gubin (dpa)
Ortsschild Guben - Gubin / ( dpa )

70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg gibt es rund um die ehemalige Gubener Stadtkirche an der deutsch-polnischen Grenze nur noch einen Feind: Tauben. Die Tiere setzen der Ruine zu. "Sie puhlen an den Steinen herum, bis sie sich lösen", sagt Günter Quiel. Er ist Vorsitzender eines Fördervereins, der sich für den Wiederaufbau der Kirche einsetzt. Sie war einst das Herzstück der deutschen Kleinstadt - heute steht sie auf polnischem Grund. In Gubin.

Flüsse trennen Städte

Die Neiße fließt zwischen den beiden Kleinstädten, Brücken verbinden Guben und Gubin. An diesem Sonntag wird es 25 Jahre her sein, dass die DDR-Volkskammer und der Bundestag ihre historische Erklärung zur endgültigen Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als polnische Westgrenze verabschiedeten.

Grundlage war ein Abkommen, das nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen den Siegermächten in Potsdam vereinbart worden war. Wenn die Oder oder die Neiße mitten durch eine Stadt flossen, hieß das damals: Teilung. So erging es Frankfurt (Oder) in Brandenburg, Görlitz in Sachsen oder eben Guben. Das Stadtzentrum mit Kirche und Rathaus wurde Polen zugesprochen. Dort entstand Gubin.

"Eine Stadt in zwei Ländern"

Quiel läuft durch die riesige Kirchenruine. Einige Gebäudeteile reichen bis ins späte Mittelalter zurück. Im Krieg wurde das Gotteshaus zerstört. Heute wuchert an den Säulen und Fenstern der einstigen evangelischen Kirche das Unkraut. "Wir wollen mit diesem Gebäude vor Krieg und Zerstörung mahnen", sagt Quiel. Er sieht nach oben, es gibt kein Dach. Die Vision des Fördervereins: Keine neue Kirche, sondern ein kulturelles Zentrum mit Bibliothek. Für Quiel ist klar: "Wir sind eine Stadt in zwei Ländern."

Die polnische Historikerin Beata Halicka sagt über das Potsdamer Abkommen der Siegermächte zur neuen Westgrenze Polens: "Es folgten erzwungene Migrationen, zum Teil sogar ein fast vollständiger Austausch der Bevölkerung."

Zu DDR-Zeiten habe es dann bereits kleine gemeinsame Projekte mit Polen in der Grenzregion gegeben, etwa zwischen Schulen, erläutert die Wissenschaftlerin vom Deutsch-Polnischen Forschungsinstitut am Collegium Polonicum in Frankfurt (Oder)/Słubice. Oder Sommerlager. "Durch die politische Dominanz war es aber schwierig, offen miteinander zu sprechen", erklärt Halicka, die das Buch "Polens Wilder Westen" über die Folgen der Zwangsmigrationen im Oderraum publiziert hat.

Moderne Doppelstadt

Mit der Wende habe eine starke Veränderung eingesetzt. "In den 90er-Jahren wurde das Wort Versöhnung oft benutzt", berichtet Halicka. "Der Nachholbedarf war groß, die Grenze war offen, es gab einen Drang, sich zu versöhnen." Auch die Neugier der Menschen war groß: "Viele Deutsche, die mit der Grenzziehung umsiedeln mussten beziehungsweise vertrieben worden sind, kamen zu Besuch, weil sie ihre Städte, in denen sie einmal gewohnt hatten, wieder sehen wollten." Mit dem EU-Beitritt Polens sei auch viel EU-Fördergeld in die Zusammenarbeit geflossen.

Die Kleinstädte Guben und Gubin präsentieren sich heute als Doppelstadt. "Wenn ich heute in Guben in ein Schuhgeschäft gehe, dann werde ich auf Polnisch begrüßt", beschreibt Gubins Bürgermeister Bartłomiej Bartczak das Verhältnis. Es gebe polnische Kinder, die in Guben zur Schule gingen, und binationale Seniorentreffen. "Die Zusammenarbeit ist selbstverständlich geworden", sagt Bartczak. Gemeinsam wolle man jetzt verstärkt Investoren anziehen, um junge Leute in der Region zu halten.

Kaum noch Wahrnehmung der Grenze

Auch der Bürgermeister von Guben, Fred Mahro (CDU), sagt: "Die Grenze wird kaum noch wahrgenommen." Allerdings räumt er auch ein: "Die Sprachverständigung ist teilweise noch ein Handicap."

Quiel geht eine Wendeltreppe in der Kirchenruine nach oben. Sie ist Teil des Restaurierungskonzepts. Dafür gab es EU-Fördermittel. Es ist windig. Oben ist in einem neugestalteten Zimmer des Kirchturms eine kleine Ausstellung eingerichtet. Die soll Touristen anziehen. Von dort oben ist der Blick frei auf die Neiße, die zwischen Guben und Gubin verläuft. Quiel hofft, dass das geplante Millionenprojekt einmal Realität wird. Er sieht auf die gegenüberliegende Seite der Kirche. Ganz oben wächst zwischen den roten Steinen ein kleiner Baum.


Günter Quiel in der Gubener Stadtkirche (dpa)
Günter Quiel in der Gubener Stadtkirche / ( dpa )
Quelle:
dpa