Unter Christen in Erbil stirbt die Hoffnung

Die Stadt, die Mall und der Tod

Die irakische Kurden-Hauptstadt Erbil spekuliert auf das große Geld aus dem Öl-Geschäft. Unterdessen sehen die Christen dort nach ihrer Flucht vor dem "Islamischen Staat" immer weniger eine Zukunft im Irak.

Ordensschwester im Dominikanerinnen-Konvent in Erbil (KNA)
Ordensschwester im Dominikanerinnen-Konvent in Erbil / ( KNA )

Beton, nackter Beton. Als Bauruine starrt am Stadtrand von Erbil die Ankawa Mall in den Himmel. Was an ihr Leben und Farbe ist, sind die allgegenwärtigen Kinder und die Wäsche, die zum Trocknen in dem zugigen, nach allen Seiten offenen Rohbau hängt. Geplant war die acht Millionen Dollar teure Mall als Konsumtempel mit 135 Shops und Boutiquen, Restaurants und einem Kino. Stattdessen beherbergt sie nun 400 vor allem christliche Familien, die vor den Milizen des "Islamischen Staats" kaum mehr als das bloße Leben retteten.

Fünf Geschosse reicht das Elend hoch. Im Oktober, zwei Monate nach der nächtlichen Flucht aus Karakosch, waren in dem Skelett endlich Wohncontainer installiert. Die Blechwände bieten Schutz vor Blicken und dem kalten Wind aus dem Zagros-Gebirge, auch wenn es schwierig ist, Schlaf zu finden bei dem ständigen Lärm. Unfälle mit den offenen Gasöfen gab es bislang nicht. Aber viele Kinder bekamen Grippe, erzählt Neval, Mitarbeiterin des Organisationskomitees. Jüngst gingen die Windpocken um, auch Fälle von Krätze wurden bekannt.

Wachsender Wohlstand, aber kaum Respekt vor Randgruppen

Die Ankawa Mall steht für Aufbruch und Untergang in Kurdistan. Erbil, Hauptstadt der Autonomen Region im Nordirak, mauserte sich in den vergangenen Jahren zur Boomtown. Wenige Taximinuten von der Mall entfernt wächst das Empire-Viertel, ein Konglomerat von 88 Wohn- und Geschäftstürmen und 300 Luxusvillen. Parallel begann 2013 das Drei-Milliarden-Dollar-Projekt "Downtown Erbil". Erdöl soll Reichtum bringen. Auf 144,2 Milliarden Barrel schätzt die OPEC die irakischen Reserven, die viertgrößten weltweit. 30, vielleicht auch 45 Milliarden liegen auf Kurdengebiet. Erbil will ein zweites Dubai werden.

"Keine gute Entwicklung" ist das nach Meinung von Archimandrit Emanuel Youkhana. Der assyrische Geistliche, Vorsitzender des christlichen Hilfswerks CAPNI, sieht eine Schere zwischen dem wachsenden materiellen Wohlstand und "Werten des Alltagslebens" - Menschenrechte, Respekt vor Randgruppen, soziale Gerechtigkeit.

Flüchtlinge belasten den Arbeitsmarkt

Zudem stehen viele Investments Erbils auf tönernen Füßen, wie auch die marode Mall zeigt. Ob die Region wirklich den erträumten Wohlstand generieren kann, hängt nicht zuletzt von Handelsgenehmigungen aus Bagdad, dem globalen Ölmarkt und von der Entwicklung des "Islamischen Staats" ab.

Dass nun noch die Flüchtlinge das soziale Netz und den Arbeitsmarkt in Erbil belasten, macht die Lage nicht besser. Acht Monate nach der Vertreibung seien die Ressourcen der Gastgemeinden in den Kurdengebieten vielfach erschöpft, so Youkhana. Immerhin gebe es "bis jetzt keine Spannungen". Aber die Resignation bei den Flüchtlingen wächst. Neval, die 23-Jährige vom Camp-Ausschuss, ist Englischlehrerin und ohne Aussicht auf Arbeit. Ihr Ehemann, studierter Elektrotechniker, verdingt sich mal hier, mal da auf Baustellen.

Verrat durch die Nachbarn

Gewiss gibt es Hilfe: Neben internationalen Organisationen sind es Dominikanerinnen, die Bettzeug und Hygieneartikel der Pontifical Mission aus Beirut verteilten, Kinderbetreuung und Schulunterricht organisieren, Seelsorge anbieten. Dabei sind sie selbst Vertriebene. Ihre Konvente um Mossul fielen an den IS. Sie leben in einer Containersiedlung im Klostergarten von Erbil. Zwölf Schwestern sind seit August gestorben. "Ungewöhnlich viele", sagt die Oberin Maria Hanna. Jetzt denkt sie daran, einzelnen Mitschwestern eine Auszeit zu gewähren, in einem Kloster im Libanon, raus aus dem Stress.

Dass es einmal ein neues Leben in Karakosch gibt, glauben Neval und viele andere nicht mehr. Da ist die bange Frage, was überhaupt noch von ihrem Zuhause geblieben ist. Da sind vor allem aber die sunnitischen Nachbarn, von denen sie sich verraten fühlen. "Der IS hat Mossul nicht erobert, er wurde hereingebeten", sagt Archimandrit Youkhana, eingeladen von "Sunniten, die mit den Dschihadisten kollaborierten".

Schwerer als die Flucht fiele "die Rückkehr in ein Land, in dem unsere Angehörigen ermordet und begraben wurden". Neval würde am liebsten ihre Heimatstadt Karakosch weit weg ins Ausland versetzen, nach Deutschland oder Australien. "Wir verschwenden hier unsere Zeit", sagt sie. "Dieses Land braucht uns nicht."


Quelle:
KNA