Bruder Paulus über die Gier der Medien nach Katastrophenbildern

"Zonen des Nachdenkens anbieten"

Die Medienwelt steht nach einer Katastrophe wie der in Frankreich Kopf. Medien-Experte Bruder Paulus Terwitte beschreibt die teils befremdlichen Auswüchse als logische Antwort auf die Nachfrage.

Bruder Paulus Terwitte (KNA)
Bruder Paulus Terwitte / ( KNA )

domradio.de: Sofort nach den ersten Nachrichten ist die Medienmaschinerie angelaufen: Eilmeldungen, Live-Schaltungen nach Düsseldorf, Barcelona, zur Absturzstelle. Expertenanalysen, Brennpunkte, Talkrunden und, und, und. Wie sinnvoll ist das, wenn auf allen Kanälen Katastrophenberichterstattung läuft?

Bruder Paulus: Es ist einfach die Logik der Medien, dass sie alle wollen, dass die Leute einschalten. Es geht um die nackte Quote und nicht um die Menschen, und - das muss man einfach sagen - da ist das reißerischste Interview gefragt. Am liebsten noch eine weinende Mutter zeigen, das zieht leider auch die Zuschauer an. Die Medien reagieren ja auf uns, die Konsumenten, wenn ich mich einmal auf die Seite der Konsumenten stelle. Und es wird ja geklickt und eingeschaltet und verglichen. Da sind wir in einer Gesellschaft, die tatsächlich gern am Zaun steht und zuschaut. Die gerne an der Unfallstelle steht und zuguckt und nicht beschämt und diskret wegschaut. Wir wollen hingucken, und die Medien reagieren auf dieses Scharfsein der Gesellschaft auf Katastrophenbilder.

domradio.de: Scharfsein auch auf Bilder von Trauernden?

Bruder Paulus: Ja, wir Menschen brauchen einfach das Gerede darüber, das will ich jetzt auch einmal positiv sagen: Trauer braucht das Gerede darüber und auch vielleicht das sinnlose Gerede darüber, weil es keinen Sinn in dieser Angelegenheit gibt. Es wird am Ende niemandem helfen zu wissen, was da jetzt genau in der Technik gewesen ist. Es ist jetzt so passiert, hier gilt es nun wirklich, zum Menschen zu stehen. Und wir sollten auch in der Gesellschaft zueinander stehen. Wir müssen einsehen, dass es Unerklärliches und Unfassbares gibt, für das wir eher Schweigen brauchen. Aber man kann sich eben schwer eine Zeitung vorstellen, in der nichts gedruckt ist, oder einen Radiosender, auf dem nichts gesendet wird. Aber ich würde mir wünschen, dass wir da ein bisschen hingucken und sagen: Wir wollen auch mal Zonen des Nachdenkens anbieten. Man kann natürlich auch nicht den ganzen Tag Trauermusik spielen, aber ich glaube, es braucht solche Zonen des Nachdenkens auch in den Medien: Wie können wir mit so Unfassbarem umgehen? Und aus meiner Erfahrung können auch Medien helfen, indem sie in ihrer Berichterstattung Rücksicht nehmen und sagen, wir zeigen keine Trauernden, wir bleiben diskret draußen, wir zeigen Symbolbilder, wir zeigen vielleicht Bilder von gelungener Trauerverarbeitung, aber mehr auf gar keinen Fall.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR