Terrorexperte zu Obamas Syrien-Strategie

"Die Christen könnten große Probleme bekommen"

Im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) wollen die USA die moderaten syrischen Rebellen unterstützen. Die Christen dort könnten Probleme bekommen, so der Terrorismusexperte Guido Steinberg im domradio.de-Interview.

US-Präsident Obama  (dpa)
US-Präsident Obama / ( dpa )

domradio.de: Unmittelbar nach den Anschlägen rief der damalige US-Präsident Bush den Kampf gegen den Terror aus. Wie erfolgreich war dieser Kampf Ihrer Meinung nach?

Guido Steinberg (Terrorismusexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik): Meiner Meinung nach ist der weitgehend gescheitert. Al Kaida ist zwar heute als Organisation sehr viel schwächer als 2001, aber das Phänomen hat sich verbreitet. In weiten Teilen der arabischen Welt und auch in Afrika haben wir es mit dschihadistischen Bewegungen zu tun. Insofern ist das überhaupt keine Erfolgsgeschichte.

domradio.de: Umstritten war vor allem der Einsatz im Irak gegen das Regime von Saddam Hussein damals. Glauben Sie die Situation mit dem „Islamischen Staat“ wäre heute auch so unter Saddam, wenn er noch leben würde?

Steinberg: Das ist eine ganz schwierige Frage, also in jedem Fall haben die Amerikaner in vielen Fällen überreagiert und der Irak-Krieg war sicherlich die schlimmste Fehlleistung, die sie begangen haben. Allerdings denke ich, dass sich die Situation im Irak auch unter Saddam Hussein krisenhaft entwickelt hätte. Er hat ja doch mit brutaler Gewalt weite Teile der Bevölkerung unter Kontrolle gehalten, die unter seiner Herrschaft nicht leben wollten. Und, was man heute auch in den Spätfolgen merkt: In den 90er Jahren schon haben sich viele Sunniten im Irak einer Salafismus-Islamismus-Variante angeschlossen, die jetzt dazu führt, dass ISIS unter ihnen rekrutieren kann, aber die auch für Saddam Hussein große innenpolitische Probleme bedeutet hätte. Also ich denke, der Irak wäre heute sicherlich stabiler, aber ich bin mir nicht sicher, ob die Lage so viel besser wäre.

domradio.de: Der Nachfolger von George W. Bush, Präsident Barack Obama, hat gestern erklärt, den IS zerstören zu wollen, wo immer er auch existiert. Unter anderem soll das US-Militär moderate syrische Rebellen ausbilden. Treibt man da nicht den Teufel mit dem Beelzebub aus?

Steinberg: Die neue Obama-Strategie enthält viele sinnvolle Elemente, allerdings vor allem für den Irak. Bei Syrien zeigt sich doch, dass die Amerikaner ratlos sind. Wir haben diese Ankündigung seit 2 Jahren immer wieder gehört, dass die Amerikaner moderate Rebellen unterstützen wollen. Diese Moderaten sind sehr viel schwächer geworden, die sind schwer zu identifizieren.  Und ich befürchte, dass nach all dem, was passiert ist, auch ein Erfolg so genannter moderater Kräfte in Syrien dazu führen würde, dass die Minderheiten, auch die Christen, zumindest große Probleme bekommen würden. Da würde sich auch schnell zeigen, dass auch das, was wir heute gemäßigt nennen, das wahrscheinlich nicht ist in der syrischen Innenpolitik.

domradio.de: Kommen wir noch mal zum heutigen Datum 11. September. Sehen Sie eine Linie von damals, vom 11. September, bis hin zum Islamischen Staat? Gibt es da eine Verbindung?

Steinberg: Ja, da gibt es auf jeden Fall eine Verbindung. All diese Gegenmaßnahmen der Amerikaner haben dazu geführt, dass sich diese Ideologie von Al Kaida verbreitet hat. Dass in der arabischen Welt vor allem so genannte Filialen aufgetreten sind. Filialen von Al Kaida, und aus einer dieser Filialen ist ISIS nun hervorgegangen. Insofern gibt es da durchaus eine direkte Linie. Allerdings hat ISIS die Konsequenz gezogen aus der Schwächung der Zentralorganisation in Pakistan und hat direkt gesagt: Wir wollen jetzt Osama bin Laden beerben und daraufhin hat der Führer von ISIS das Kalifat ausgerufen. Er will jetzt die Führungsposition im weltweiten Kampf gegen die Amerikaner einnehmen. Und das ist eine direkte Folge des 11. September und der Gegenmaßnahmen und vor allemder vielen Fehler, die die Amerikaner da gemacht haben.

domradio.de: Sie haben gesagt, es gibt Filialen von Al Kaida. Auch in Deutschland gibt es sozusagen Außenposten. Immer wieder gibt es auch Anschläge in Deutschland. Wie groß könnte das Problem noch in Deutschland werden?

Steinberg: Ich denke, dass das Problem in Deutschland schon lange besteht. In vielen Fällen war es nur Glück, bzw. die Hilfe der Amerikaner, die dazu geführt hat, dass Anschläge vereitelt wurden. Andere sind aus technischer Inkompetenz gescheitert. Wir müssen uns darauf einstellen, dass dieses Problem uns noch sehr lange Zeit begleiten wird. Zumindest die nächsten zehn Jahre und das zeigt sich vor allem daran, dass die Zahl der Deutschen, die bei ISIS, bei Al Kaida und bei ähnlichen Organisationen mitkämpfen, enorm gestiegen ist. 2001 gab es nur einzelne Individuen, heute sind es mehrere hundert, die sich zumindest zeitweilig angeschlossen haben. Das zeigt, dass dieses Phänomen auch bei uns in Deutschland angekommen ist.

Das Interview führte Tobias Fricke


Quelle:
DR