Bundespräsident und EKD-Ratsvorsitzender würdigen Widerstand gegen Hitler

"Notwendige Erinnerung für unsere Gegenwart und Zukunft"

Bundespräsident Joachim Gauck und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, haben zum 20. Juli die Männer und Frauen des Widerstandes gegen Hitler gewürdigt.

Nikolaus Schneider (dpa)
Nikolaus Schneider / ( dpa )

Bei einem Gedenkgottesdienst im Berliner Dom sagte Nikolaus Schneider am Sonntagmorgen: "Diese Menschen nicht zu vergessen, sie zu ehren und von ihnen zu erzählen, ist eine notwendige Erinnerung für unsere Gegenwart und Zukunft." Die Männer und Frauen des 20. Juli 1944 hätten "im Getöse des Gebrülls am Volksgerichtshof, im Geschrei der großen Aufmärsche und Hallen" nur auf ihr Gewissen gehört, so Schneider weiter. Sie stünden dafür, dass nicht alle Deutschen tatenlos zusahen, mitliefen oder begeistert mitmachten, als die Nationalsozialisten das eigene Land und weite Teile der Welt mit Krieg und Terror überzogen.

An dem vom ZDF übertragenen Gottesdienst zum 70. Jahrestag des Attentats- und Umsturzversuchs gegen Hitler nahmen Bundespräsident Joachim Gauck sowie rund 50 Angehörige der Widerstandskämpfer teil. Die Widerstandskämpfer hätten lange darauf warten müssen, "nicht mehr als Verräter sondern als Gerechte angesehen zu werden", so Schneider. Ihre Ehrung sei inzwischen ein wichtiges Anliegen geworden, zumal es auch entlaste: "Nicht alle Deutschen sind der Stimme der Nazi-Barbarei gefolgt."

Viele Kriegsverbrecher des zweiten Weltkriegs dagegen hätten "ihre Herzen verstockt und ihre Gewissen verbogen, obwohl sie die 10 Gebote kannten und sich auch als Glieder der Kirche verstanden". Das menschliche Gewissen brauche aber das immer neue Hören auf die Stimme Gottes, so Schneider. Nur so könne es "als korrigierende Kraft wirken" und "nicht als Selbstbestätigung in bösem Tun".

Während des Gottesdienstes kam es zu einer Störung, als ein etwa 50 Jahre alter, eine jüdische Kippa tragender Mann in einem mit einer Friedenstaube und den Worten "Schwerter zu Pflugscharen" bedruckten Anzug aufsprang, und durch einen Seitengang des Domes in den Altarraum rannte. Während er von Sicherheitskräften überwältigt und aus der Kirche gebracht wurde, schrie er mehrfach die Worte: "Kein neuer Holocaust!"

Gauck: Deutschland zehrt bis heute vom 20. Juli

Bundespräsident Joachim Gauck hat die langfristigen politischen Wirkungen des Hitler-Attentats vom 20. Juli 1944 unterstrichen. Bei einer Feierstunde zum 70. Jahrestag des Anschlags betonte das Staatsoberhaupt am Sonntag im Berliner Bendlerblock, zwar hätten die Verschwörer ihr Ziel nicht erreicht, Hitler zu töten. Den Frauen und Männern des 20. Juli sei aber auch bewusst gewesen, "dass es darum ging, ein in die Welt hinaus und in die Zukunft hinein wirkendes Zeichen zu setzen", sagte Gauck. Darum solle mit Begriffen wie "Scheitern" oder "Misserfolg" vorsichtig umgegangen werden.

Der 20. Juli und alle anderen Widerstandsversuche hätten eine moralische und politische Bedeutung, betonte der Bundespräsident. Aus diesem Erbe heraus habe die neu gegründete Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg Legitimation schöpfen können. Auch die Bundeswehr berufe sich nicht auf obrigkeitsstaatliche Traditionen, sondern auf Widerstand gegen das Unrecht. "Von diesem moralischen Erbe zehrt unser Land bis heute", sagte Gauck. Veranstalter der Feierstunde waren die Bundesregierung sowie die Stiftung 20. Juli 1944.

Der Anschlag und der nachfolgende Umsturzversuch gegen das NS-Regime gelten als größter organisierter Widerstandsversuch im sogenannten Dritten Reich. Hitler wurde bei dem Attentat im Führerhauptquartier "Wolfsschanze" in Ostpreußen nur leicht verletzt. Nach dem Scheitern des Putsches wurden rund 200 Menschen als Mitwisser ermordet, unter ihnen auch der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer (1906-1945).

Der 20. Juli 1944 erinnere daran, mutig zu seinen Werten zu stehen und sich nicht mitschuldig zu machen, wenn anderen Unrecht geschehe, sagte Gauck weiter. Jeder Einzelne kenne die Frage, wie man sich selbst verhalten würde in der Gewissheit, dass der Preis des eigenen Handelns Gefängnis, Folter oder gar den Tod bedeuten könnte. Heute müssten die Menschen in Deutschland zwar nicht mehr so existenzielle Fragen beantworten wie damals. Aber auch in der Demokratie gelte es, "Werte zu leben und Verantwortung zu übernehmen", sagte Gauck.

Die Erinnerung an den 20. Juli lehre, dass es eine Wahl zwischen Handeln und Untätigkeit, zwischen Reden und Schweigen gebe, fuhr der Bundespräsident fort. "Wir haben auch eine Wahl zwischen Erinnern und Vergessen." So müsse die Frage gestellt werden, "welche Brückenschläge ins Heute möglich sind, um auch junge Leute für die mutigen Männer und Frauen des 20. Juli zu interessieren, obwohl sie selbst nie eine Diktatur kennenlernen mussten".


Quelle:
epd