Kölner Keupstrasse gedenkt der Opfer

"Birlikte" heißt zusammenstehen

Zehn Jahre ist der Anschlag der Terrorgruppe NSU in der Kölner Keupstrasse nun her. Unter dem Motto "Birlikte" - auf Deutsch "zusammenstehen" - erinnert ein Kulturfest an diesen Tag. Doch Fragen zu Ermittlungspannen sind noch offen.

Bundespräsident Joachim Gauck auf der Keupstrasse (dpa)
Bundespräsident Joachim Gauck auf der Keupstrasse / ( dpa )

Fast nichts erinnert in der Kölner Keupstraße an den blutigen Anschlag, der vor zehn Jahren die türkisch geprägte Geschäftsstraße verwüstete. Nur eine winzige Gedenktafel am Friseursalon Özcan verweist auf die Nagelbombe, die genau dort am 9. Juni 2004 explodierte. 22 Menschen wurden verletzt, vier davon schwer. Erst 2011 konnte der Anschlag der rechtsextremen Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) zugeschrieben werden. Doch bis heute bleibt vieles unklar. Zum Jahrestag erinnert das Aktionsbündnis "Birlikte – Zusammenstehen" am Pfingstwochenende mit einem großen Kulturfest an die Opfer.

Falsche Zuschreibungen und Ermittlungspannen

In der Keupstraße in Köln-Mülheim reihen sich Geschäfte für Brautmoden, Juweliere, Restaurants und Vereinslokale aneinander. Fast alle Läden werden von Türkeistämmigen betrieben. Nach dem Anschlag 2004 schien ein fremdenfeindliches Motiv auf der Hand zu liegen. Doch Polizei und Politik erklärten schon nach Stunden, dafür gebe es keine Hinweise. Stattdessen wurde vor allem im türkischen Umfeld der Keupstraße nach den zwei Tätern gesucht, von denen es Videoaufnahmen einer Überwachungskamera gab.

"Die Zeit war schlimm", erinnert sich Ahmet Erdogan. Das Vorstandsmitglied der Ömer-ül-Faruk-Moschee in der Keupstraße erlebte die Explosion aus wenigen Hundert Metern Entfernung mit. Damals sei die Polizei von organisierter Kriminalität oder von türkisch-kurdischen Konflikten ausgegangen. Leute aus der Straße seien spät abends zum Verhör abgeholt worden. "Sie waren Opfer und wurden gleichzeitig als Täter behandelt", erzählt Erdogan.

Unter Generalverdacht

Wie sehr die falschen Verdächtigungen schmerzen, wurde im Herbst 2012 deutlich. Das Bundesinnenministerium startete eine Kampagne gegen die Radikalisierung einzelner Muslime ausgerechnet in der Keupstraße. Viele Muslime - nicht nur in Köln - fühlten sich durch die Aufmachung der Kampagne unter Generalverdacht gestellt. In einem offenen Brief beklagte die Interessengemeinschaft Keupstraße: "Wieder werden wir pauschal zu Unrecht verdächtigt."

Ein Jahr zuvor war der NSU-Terror aufgedeckt worden. Dem Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, von denen nur noch Zschäpe lebt, wurden zahlreiche Morde, Banküberfälle und Anschläge angelastet. Auch die Nagelbombe in der Keupstraße gehört dazu. In München begann 2013 der NSU-Prozess gegen Zschäpe und vermeintliche Helfer.

Akten verschwanden, Spuren wurden nicht verfolgt

Die Fragen, warum die Behörden so viele Spuren nicht verfolgten, warum Akten verschwanden und wieso die Gruppe nicht gefasst werden konnte, wurden in den vergangenen Monaten immer lauter. Mehrere Leiter von Verfassungsschutzbehörden traten zurück. Der Bundestag und die Landtage von Thüringen, Sachsen und Bayern setzten Untersuchungsausschüsse zu den Ermittlungspannen ein. Im 1.300 Seiten starken Bericht des Bundestags-Ausschusses füllt allein das Kapitel zur Keupstraße 43 Seiten. Warum kurz nach der Explosion erklärt wurde, es gebe keine Hinweise auf ein terroristisches Motiv, konnten die Abgeordneten jedoch nicht umfassend aufklären.

Diese und viele andere Fragen soll nun ein eigener Untersuchungsausschuss in Nordrhein-Westfalen aufgreifen. Anfang Juni 2014 sprachen sie alle Parteien im Düsseldorfer Landtag dafür aus. Das Gremium soll Ungereimtheiten im Zusammenhang mit der Keupstraße und zwei weiteren NSU-Anschläge klären. Auch eine Explosion 2001 in Köln und der Mord an einem Kioskbesitzer in Dortmund 2006 werden dem NSU angelastet. Darüber hinaus soll geklärt werden, ob dem NSU Anschläge in Düsseldorf-Wehrhahn im Jahr 2000 und ein Mordversuch 2003 in Duisburg zuzuschreiben sind.

Kulturfest gegen Rassismus

"Wo es Fehler, Pannen, Versäumnisse und mögliche Vertuschungen gab, müssen diese offen benannt und die Konsequenzen gezogen werden. Das sind wir insbesondere den Opfern und ihren Angehörigen schuldig", erklärt die NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und entschuldigt sich für die jahrelangen falschen Verdächtigungen der Behörden. Die Vorsitzende der Interessengemeinschaft Keupstraße, Meral Sahin, unterstützt den Vorstoß des Landtags. "Alles, was zur Aufklärung beiträgt, wird begrüßt", sagt die Betreiberin eines Geschäfts für Dekorationsartikel.

Sahin will jedoch mehr als nur Antworten auf die Fragen nach den Schuldigen und den Ermittlungspannen: Die Geschäftsfrau will, dass alle Menschen in Köln zusammenstehen gegen Rassismus und Ausgrenzung. Zum großen Kultur- und Aktionsfest "Birlikte" (türkisch: zusammenstehen) werden von Samstag bis Montag rund 100.000 Besucher rund um die Keupstraße erwartet, darunter auch Bundespräsident Joachim Gauck.

Von Andreas Gorzewski


Quelle:
epd