Die Probleme des Religionsunterrichts in Ostdeutschland

Für nichtchristliche Schüler öffnen

Religionsunterricht kann für die Minderheit der christlichen Schüler in Ostdeutschland meist nur unter erschwerten Bedingungen stattfinden. Der Religionspädagoge Harald Schwillus fordert, das Fach stärker für Teilnehmer zu öffnen, die keiner Kirche angehören.

Religionsunterricht (KNA)
Religionsunterricht / ( KNA )

KNA: Herr Schwillus, was ist am Religionsunterrichts in der östlichen Diaspora anders?

Schwillus: Das Spezifikum ist, dass er erst einmal klar macht, dass Religion zur Schule gehört. Und dass er - vielleicht viel mehr als in den alten Bundesländern - ein für alle Schüler offenes Fach ist, nicht nur für die Christen. Der Religionsunterricht hält christliche Werte, große Wissensbestände und gerade auch Selbst- und Sinndeutungsaspekte in einem öffentlichen Raum präsent. Das ist im Osten besonders wichtig, wo nur noch eine Minderheit überhaupt einer christlichen Kirche angehört. Religion ist ein Bildungsgut. Insofern gehört es unbedingt in die öffentlichen Schulen, wo ja die Allgemeinbildung der Kinder und Jugendlichen stattfindet.

KNA: Muss Religion also unter dem Bildungsaspekt Bestandsschutz erhalten?

Schwillus: Ja. Der Pisa-Papst Jürgen Baumert hat für die Schule vier Bildungsdomänen benannt. Darunter einen Bereich, der sich um letzte Fragen, um Letztbegründungen, um Sinnzusammenhänge kümmert. Das ist natürlich der Philosophieunterricht. Aber auch der Religionsunterricht. Natürlich kann man sich gegen solch eine konfessionelle Wissensvermittlung entscheiden. Allerdings muss man dann schon fragen, inwieweit dieser Bildungsbereich abgedeckt wird.

KNA: Gehen die katholische und die evangelische Kirche unterschiedliche Wege beim Religionsunterricht in der Diaspora?

Schwillus: Ja, zum Teil. Die evangelische Kirche hat nach der Wende deutlicher darauf gesetzt, dass der Religionsunterricht auch mit geringeren Zahlen in den Räumen der Schule stattfindet. Die katholische Kirche hingegen fährt immer noch deutlicher das Modell eines schulischen Religionsunterrichts in den Räumen der Gemeinde.

Das hat Folgen auch für die Schüler, die keiner Kirche angehören. Die Schwelle, in einen Unterricht zu gehen, der in den Räumen der Gemeinde stattfindet, ist höher, als wenn das Ganze in der Schule stattfindet. Entsprechend gibt es auch deutlich mehr nicht religiös gebundene Schüler im evangelischen Religionsunterricht.

KNA: Konfessionslose Schüler, die freiwillig den Religionsunterricht besuchen - ist das nicht eine große Chance für die Kirchen?

Schwillus: Natürlich. Und ich denke, dass sie mutiger dafür werben sollten, dass der Religionsunterricht eben nicht nur für die eigene Klientel da ist, sondern auch ein Angebot für konfessionslose Schüler. Das ist noch eine deutliche Kommunikationsaufgabe. Nach meiner Auffassung ist der Religionsunterricht eine diakonische Aufgabe der Kirche. Es geht nicht darum, eine Rekrutierungsanstalt zu sein, sondern Religion für Schüler authentisch erlebbar zu machen und sie einzuladen. Dann kommen wir auf längere Sicht auch aus den Diskussionen um die geringen Teilnehmerzahlen heraus.

KNA: Wäre ökumenischer Religionsunterricht eine Option? Wenn es eh so wenige Schüler sind, könnte man die doch zusammenfassen. Möglicherweise könnte dadurch sogar an mehr einzelnen Schulen Religionsunterricht stattfinden...

Schwillus: Für Schulverwaltungen ist das natürlich ein interessantes, weil billigeres Rechenexempel. Es geht aber beim Religionsunterricht auch immer darum, Religion genuin, sprich konfessionell zu erleben.

Es gehört dazu, ein bestimmtes Profil zu erleben, wie Religion in einer Kirche gelebt wird. Jeder Religionsunterricht ist ökumenisch ausgerichtet, allerdings wird er von einer Person unterrichtet, die evangelischen oder katholischen Glaubens ist und als solche auch erkennbar sein sollte. Ich glaube, der Unterricht würde etwas verlieren, wenn er in einem allgemeinen Christentums-Unterricht oder gar in einem allgemeinen Religiositäts-Unterricht aufginge. Wo könnten Schüler dann religiöse Praxis authentisch erfahren und Lust bekommen, sie auszuprobieren?

KNA: Klappt das denn - vom Religionsunterricht Lust auf Kirche bekommen?

Schwillus: Das ist in der Tat eine große Baustelle, diese Brücke vom Religionsunterricht zur Kirche und zur Gemeinde, zu Angeboten der Kirche zu schlagen. Religiöse Praxis kann beginnen mit der Teilnahme an Segnungsfeiern zur Lebenswende für Schüler, die keiner Kirche angehören. Oder Angeboten wie Nightfever-Abenden für Jugendliche oder natürlich die klassischen Angebote in der Kirchengemeinde. In Zukunft müssen wir die Schulpastoral im Blick daraufhin deutlich schärfen und auf eine breitere Basis stellen. Das kann nicht bedeuten, dass die Pfarrer und pastoralen Mitarbeiter in der Gemeinde, die eh schon sehr stark belastet sind, auch dafür noch zuständig werden. Ich glaube, da müssen wir über neue Modelle nachdenken.

Das Interview führte Karin Wollschläger.