Ägypten: Kopten begrüßen Absetzung Mursis

Christen erleichtert

Ägyptens Christen reagieren erleichtert auf die Absetzung von Präsident Mohammed Mursi. Der Oberbefehlshaber der Armee, Abdel Fattah al-Sisi, bezog auch den Papst der Kopten, Tawadros II., in die Beratungen über die Zukunft des Landes am Nil ein.
 

 (DR)

Rund zehn Prozent der etwa 80 Millionen Einwohner Ägyptens sind Christen. Die meisten davon gehören der koptisch-orthodoxen Kirche an, die bereits seit dem ersten Jahrhundert nach Christus existiert und damit zu den ältesten Kirchen der Welt gehört. In der Vergangenheit kam es in Ägypten immer wieder zu gewaltsamen Konflikten zwischen Kopten und Muslimen. "Mursi hat regiert, als würde er daran arbeiten, das Christentum aus Ägypten zu vertreiben", sagte der Intellektuelle Soliman Schafik, der zur christlichen Minderheit der Kopten gehört, nach dem Militärputsch gegen den Staatschef am Mittwoch.

Als al-Sisi am Mittwochabend gegen 21 Uhr Ortszeit im staatlichen Fernsehen die Absetzung Mursis bekanntgab, saß zu seiner Rechten der höchste Würdenträger der Sunniten, Scheich al-Azhar, und zu seiner Linken der Kopten-Papst Tawadros II.

Die Gewalt gegen Christen hatte seit Beginn der Amtszeit Mursis im vergangenen Jahr deutlich zugenommen. Viele Christen beteiligten sich an den Protesten gegen den Präsidenten. Mehrere islamistische Prediger drohten deshalb, Christen seien nicht mehr sicher. Zugleich versuchten sie, die Proteste gegen Mursi als Aufstand der Christen gegen die Muslime darzustellen.

Mursi sei von seinen Mitarbeitern getrennt und ins Verteidigungsministerium gebracht worden, teilte der Sprecher der Muslimbruderschaft, Gehad El-Haddad, am Donnerstagmorgen über den Kurznachrichtendienst Twitter mit.

Menschen feiern die ganze Nacht

Wenige Stunden zuvor hatte das Militär die Absetzung des Islamisten verkündet. Bis zu Neuwahlen soll der Präsident des Verfassungsgerichts, Adli Mansur, die Geschicke des Landes lenken. Noch im Laufe des Tages soll er nach Medienberichten den Amtseid als Übergangspräsident ablegen. Weltweit löste die Entwicklung Besorgnis aus.

Mursi sprach von einem "Putsch". "Die Ankündigung der Streitkräfte wird von allen freien Menschen zurückgewiesen, die für ein ziviles, demokratisches Ägypten gekämpft haben", teilte er kurz nach seiner Absetzung über den Kurznachrichtendienst Twitter mit. Er rief die Ägypter auf, friedlich zu bleiben und Blutvergießen zu vermeiden.

Bis zum Donnerstagmorgen feierten Tausende auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo den Sturz Mursis. Feuerwerk wurde gezündet, es herrschte Jubelstimmung, hupende Autokorsos kreuzten durch die Stadt.

Viele Tote

Eine Demonstration von Mursi-Anhängern in einem Kairoer Vorort wurde von Sicherheitskräfte abgeschirmt. Am frühen Morgen sei auf die Demonstranten geschossen worden, teilte El-Hadad über Twitter mit. Wer die Angreifer waren, konnte er nicht sagen. Sie hätten keine Uniformen getragen. Über mögliche Opfer wurde zunächst nichts bekannt.

In Marsa Matruh im Nordwesten des Landes kamen nach Berichten der staatlichen Nachrichtenagentur Mena bei Zusammenstößen zwischen Anhängern und Gegnern Mursis mindestens sechs Menschen ums Leben. Die Stadt am Mittelmeer gilt als Islamisten-Hochburg. Wie die Zeitung "Al Ahram" online berichtete, hatten Anhänger Mursis ein Regierungsgebäude angegriffen, nachdem Verteidigungsminister Abdel Fattah al-Sisi in einer Fernsehansprache die Absetzung Mursis verkündet hatte.

Gewalttätige Zusammenstöße wurden auch aus Kafr El-Sheikh im Nil-Delta gemeldet. Dort wurden dem "Al Ahram"-Bericht zufolge knapp 120 Menschen verletzt. Auch in Alexandria soll es zu Gewalt gekommen sein.

Wie El-Haddad mitteilte, wurden auch zwei führende Politiker der Muslimbrüder-Partei Freiheit und Gerechtigkeit (FJP) festgenommen, darunter der frühere Parlamentspräsident und heutige Präsident der FJP, Mohamed Saad El Katatny. "Das gesamte Präsidententeam wurde festgenommen. Sie arbeiten sich durch eine Arrestliste mit mehr als 300 Namen", sagte er. Zunächst seien die Mitarbeiter zusammen mit Mursi ins Hauptquartier der Präsidentengarde gebracht worden. Mursi sei dann später von ihnen getrennt und in Verteidigungsministerium gebracht worden.

Internationale Sorge

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigte sich besorgt über das Vorgehen der Armee. Militärisches Eingreifen in die Angelegenheiten eines Staates sei immer bedenklich, erklärte er nach Angaben eines Sprechers. Er forderte eine rasche Wiedereinsetzung einer "zivilen Herrschaft in Übereinstimmung mit den demokratischen Prinzipien".

US-Präsident Barack Obama äußerte sich ebenfalls "zutiefst besorgt". Er lasse prüfen, welche rechtlichen Konsequenzen die Entwicklung auf die laufenden amerikanischen Hilfen an den ägyptischen Staat hätten, teilte das Weiße Haus mit.

Großbritannien "unterstützt kein militärisches Eingreifen als Weg, Konflikte in einem demokratischen System zu lösen", erklärte der britische Außenminister William Hague.

König Abdullah von Saudi-Arabien gratulierte dagegen der neuen Führung in Kairo zur Machtübernahme. Zugleich lobte er die "Weisheit und Vermittlung" des ägyptischen Militärs, das das Land "im entscheidenden Moment gerettet" habe.

Vor der Absetzung Mursis war die Militärführung in einem Krisentreffen mit den Spitzen der Opposition und hohen kirchlichen Würdenträgern zusammengekommen. Mit dabei waren der Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei, Vertreter der Protestbewegung "Tamarud", der Großscheich der Al-Azhar-Universität, Ahmed al-Tajjib, und der koptisch-orthodoxe Papst Tawadros II. Die Partei der Muslimbruderschaft - aus der Mursi stammt - nahm nicht teil.

Kirchenvertreter: Umsturz war nicht anti-islamisch

Der Umsturz in Ägypten ist nach Einschätzung des deutschen Theologen Frank van der Velden in Kairo "keine Kampfansage gegen islamische Werte". Die Bevölkerung und das Militär hätten Mohamed Mursi "nicht deswegen abgesetzt, weil er islamische Werte vertritt - deswegen wurde er gewählt -, sondern weil er die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes nicht angepackt hat", sagte van der Velden, Mitarbeiter der deutschen katholischen Gemeinde in Kairo, am Donnerstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Mursis "Unfähigkeit zu regieren" habe die Unzufriedenheit geschürt.

Van der Velden verwies auf die Beteiligung frommer Muslime, auch verschleierter Frauen, an den Demonstrationen der vergangenen Wochen: "Die Leute wollen, dass das Land vorankommt, nicht, dass man über kulturelle und religiöse Fragen diskutiert." Mit den Protesten habe eine Politik Schiffbruch erlitten, die Probleme aus einer islamistischen Geisteshaltung heraus hatte lösen wollen. Für die Übergangsregierung gehe es darum, ein "Kompetenzteam" aufzustellen. Diesem könnten "auch Muslimbrüder, zur Not auch Salafisten" angehören, so van der Velden.

Der Leiter der deutschen katholischen Gemeinde, Joachim Schroedel, nannte es ein gutes Zeichen, dass Verteidigungsminister Abdel Fattah al-Sisi bei seiner Rede zur Entmachtung Mursis vom sunnitischen Großscheich Ahmed Al-Tayyeb und dem koptischen Patriarchen Tawadros II. flankiert war. "Das war ein deutliches Signal: Ägypten gehört zusammen, und es besteht aus Muslimen und Christen", sagte Schroedel, der sich derzeit in Deutschland aufhält. Die vorangegangenen Proteste hätten Muslime und Christen einander nähergebracht. Bei dem Umsturz handele es sich aus seiner Sicht nicht um einen Militärputsch; "das Militär hat umgesetzt, was das Volk wollte", so der katholische Priester.

An den nächsten politischen Schritten würden sich christliche Amtsträger "nicht in vorderster Linie beteiligen", sagte Schroedel weiter. Auch Patriarch Tawadros II. wolle "keine Politik betreiben". Schroedel äußerte aber die Erwartung, dass wie in der verfassungsgebenden Versammlung des vergangenen Jahres auch in einem neuen Verfassungsprozess christliche Laien beteiligt würden.

Van der Velden beschrieb die Stimmung in Kairo am Donnerstagvormittag als heiter und gelassen. Die Geschäfte hätten geöffnet, der Verkehr fließe normal, strategische Punkte seien durch Polizei und Militär gesichert. Das Volk wolle "zur Normalität zurück". Die Bevölkerungsmehrheit sei sehr zufrieden mit dem Umsturz. Das Eingreifen des Militärs habe die Menschen "aus der Angst vor tagelangen Straßenschlachten herausgeholt". Ob das Vertrauen in das Militär berechtigt sei, müsse allerdings die Zukunft zeigen, so van der Velden.

Der Theologe betonte, insgesamt seien in den Tagen vor der Entmachtung Mursis landesweit 20 Millionen Menschen auf die Straßen gegangen. Gegen die jetzt abgesetzte Regierung habe sich ein breiter gesellschaftlicher Konsens unterschiedlicher gesellschaftlicher und religiöser Gruppen aufgestellt. Dabei sei auch "die Zusammenarbeit mit der Militärführung nicht erst in den letzten 24 Stunden zustande gekommen", so van der Velden.

 


Quelle:
dpa , epd , KNA