Auslandspfarrerin: Großes Entsetzen in der Türkei

Zwischen Tränengas und Pfefferspray

Die türkische Protestbewegung bietet der Regierung auch nach der Eskalation der Polizeigewalt auf dem Taksim-Platz in Istanbul die Stirn. Das Entsetzen im Land sei groß, berichtet Susanne Landwehr, evangelische Auslandspfarrerin in Istanbul.

Autor/in:
Holger Spierig
Tränengasattacke in Istanbul (dpa)
Tränengasattacke in Istanbul / ( dpa )

Wegen der Proteste und des Polizeieinsatzes am Istanbuler Taksim-Platz hat die deutschsprachige evangelische Gemeinde in Istanbul fast alle Veranstaltungen abgesagt. "Seit Beginn der Auseinandersetzungen liegt Tränengas und Pfefferspray-Gas über den an den Taksim angrenzenden Wohngebieten, auch über unserem Viertel, und es zieht immer wieder auch in die Kirche und die Wohnräume", berichten die Auslandspfarrerin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Ursula August, und die Öffentlichkeitsreferentin der Gemeinde, Susanne Landwehr, am Mittwoch in Istanbul.

Geplatzte Hoffnungen

"Die Räumung vom Dienstag hat im gesamten Land großes Entsetzen ausgelöst», sagten August und Landwehr weiter. Die Menschen hätten gehofft, dass es zu einem Treffen zwischen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und Vertretern der Taksim-Plattform gekommen wäre.

Durch die gewaltsame Beendigung der Proteste fühlten sie sich jetzt verraten. Die deutsche evangelische Gemeinde verstehe die Proteste, verurteile jedoch die Gewalt auf beiden Seiten. Die Evangelische Kreuzkirche liegt etwa zwei Kilometer vom Taksim-Platz entfernt.

Angst vor unkontrollierbarer Straßenschlacht wächst

Derzeit ist nach Einschätzung der evangelischen Gemeinde die weitere Entwicklung in der Türkei nicht abzuschätzen. Für das Wochenende seien in Ankara und Istanbul große Gegendemonstrationen von Anhängern der regierenden AK-Partei angekündigt. "Wir hoffen, dass sie nicht zu unkontrollierbaren Straßenschlachten ausarten", sagten August und Landwehr.

Die geplante Bebauung des beliebten Gezi-Park, der Auslöser der Proteste, sei nur die Spitze des Eisberges, erklärten die Vertreterinnen der Gemeinde deutscher Sprache in der Türkei. Seit Jahren treibe die Regierung mit großen Bauprojekten die wirtschaftliche Entwicklung des Landes voran. Der Bau von Flughäfen, Brücken und Wasserkraftwerken sei umstritten, weil sie Lebensraum, historische Stätten oder die Umwelt zerstörten. Die Menschen seien meist nicht einbezogen worden.

Die Regierung habe jedoch auch viel erreicht, sagten August und Landwehr weiter. Das Land sei wirtschaftlich erfolgreich und habe die politische Öffnung zu den Nachbarländern weiter vorangetrieben. Es gebe ein Antidiskriminierungsgesetz und eine überparteiliche Zusammenarbeit gegen Ehrenmorde und Gewalt an Frauen. Außerdem sei Erdogan mit den nicht-muslimischen christlichen Minderheiten in den Dialog getreten. Enteignete Liegenschaften seien beispielsweise den orthodoxen Gemeinden oder auch der jüdischen Gemeinde zurückgegeben worden. In den vergangenen Jahren habe sich zudem eine große Zivilgesellschaft entwickelt.


Quelle:
epd , dpa