Medica-Mondiale-Gründerin zieht gemischte Bilanz

"Thema mitten in der Gesellschaft"

20 Jahre nach Gründung von Medica Mondiale sieht Monika Hauser die Arbeit der Oganisation noch lange nicht am Ende. Gewalt gegen Frauen sei auch in Deutschland selber noch immer ein Thema, so die Ärztin im domradio.de-Interview.

 (DR)

domradio.de: Hatten Sie vor 20 Jahren Zweifel, ob Ihr Vorhaben denn überhaupt gelingen kann?

Hauser: Nein, überhaupt nicht. Es war gar nicht die Zeit da, Zweifel zu haben. Gemeinsam mit bosnischen Frauen habe ich die Arbeit aufgebaut und dabei gesehen, welcher Wahnsinn um uns herum herrschte. Für Zweifel war gar keine Zeit.

domradio.de: Wer unterstützte Sie zu Beginn?

Hauser: Gott sei Dank fand ich in Bosnien vor Ort gleich die richtigen Fachfrauen, die bereit waren, mit mir ein interdisziplinäres Therapiezentrum aufzubauen. In Nordrhein-Westfalen gab es eine engagierte Kerngruppe, die Gelder gesammelt, Transporte organisiert und Materialien zusammengestellt hat. Und dann haben wir über den Mona-Lisa-Hilfsfond des ZDF relativ schnell 250.000 DM erhalten, mit denen ich die ganzen Güter bezahlen konnte.

domradio.de: Mittlerweile helfen Sie Frauen auf der ganzen Welt - überall in der gleichen Weise, oder unterscheiden Sie von Region zu Region?

Hauser: Zu Beginn untersuchen wir, wie die speziellen Gegebenheiten in der Region sind: Unter welchen Bedingungen haben die Frauen Gewalt erfahren, wie leben sie, was sind ihre Probleme? Aber natürlich haben wir in den 20 Jahren erkannt, dass es tatsächlich übergeordnete Aspekte gibt: Frauen auf der ganzen Welt, die sexualisierte Gewalt haben, brauchen interdisziplinäre Unterstützung, d.h. fachliche Begleitung, die auf ihre Realitäten abgestimmt ist; medizinische und psychologische Hilfe immer gemeinsam. Dann geht es immer darum, dass Frauen geschützte Räume haben, wo Frauen wirklich aussprechen können, was ihnen geschehen ist. Wir begleiten die gesellschaftspolitische Arbeit: die Aufklärung von Familie, Umgebung und Gemeinde, dass es sich hier um ein schweres Verbrechen handelt, dass nicht die Frauen stigmatisiert und ausgegrenzt werden dürfen, sondern die Täter verurteilt werden müssen. Aber über allem steht immer wieder die Solidarität. Die parteiliche Unterstützung der Frauen. Das gilt für katholische Kliniken in Köln genauso wie für eine muslimische Beratungsstelle in Kabul.

domradio.de: Heute engagieren Sie sich auch dafür, dass die Bundeswehr die Rolle der deutschen Soldaten in Krisengebieten in den Blick nimmt. Warum?

Hauser: Gerade auf dem Balkan haben wir über Jahre hinweg gesehen, dass deutsche Soldaten bei ihrem Friedenseinsatz vor Ort nichts dabei finden, sich für ein paar Dollar jungen Mädchen in Bordellen zu kaufen - Mädchen, die aus dem Armenhaus Europas in einer Zwangssituation gelandet sind. Manchmal scheint es, dass auch deutsche Männer am Flughafen bei der Ausreise alle sozialen Regeln, die sie in Deutschland für wichtig halten, abgeben.

domradio.de: Auch in Deutschland leisten Sie wichtige politische Arbeit. Wie genau?

Hauser: Mir ist es wichtig, immer wieder darauf hinzuweisen, dass sexualisierte Gewalt etwas ist, was nicht nur in Afghanistan oder im Kongo vorkommt, sondern wir auch immer wieder in Deutschland erleben. Denken Sie an die unzähligen Frauen, die im Zweiten Weltkrieg von Wehrmacht und SS vergewaltigt wurden oder auch deutsche Frauen am Ende des Weltkrieges durch Alliierte. Diese Frauen konnten in ihren Familien danach das Erlebte kaum thematisieren. Und das wirkt als transgenerationelle Trauma-Kraft weiterhin zerstörerisch bis heute. Dann sehen wir, dass es in den Bordellen Deutschlands - wie auch hier in Köln im Pascha - immer wieder prostituierte Frauen sind, die unter unsäglichen Bedingungen hier leben und keine Chance haben, dieser Situation zu entfliehen. Und wir haben sehr viel häusliche und sexualisierte Gewalt in den deutschen Familien. Nach einer Studie des Frauenministeriums von 2004 haben 40 Prozent aller hier lebenden Frauen Gewalt in ihrem erlebt. Es ist also ein deutsches Thema mitten in dieser Gesellschaft.

Das Gespräch führte Mathias Peter.


Quelle:
DR