Präses Kurschus sieht NPD-Verbotsverfahren kritisch

Dem Rechtsextremismus den Nährboden entziehen

Ein neues NPD-Verbotsverfahren wird aller Voraussicht nach kommen. Die Innenminister der Länder haben sich bei ihrer Konferenz in Rostock-Warnemünde geschlossen dafür ausgesprochen. Im Vorfeld der Beratungen äußerte sich Präses Kurschus kritisch.

 (DR)

Verbote der NPD oder rechtsextremer Kameradschaften wären zwar ein öffentliches Zeichen, "dass wir Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus nicht wollen", sagte die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus, im Vorfeld des Ministertreffens.  Sie befürchte aber, dass Verbote "den Rechtsextremisten nicht das Handwerk legen, sie suchen sich dann andere Wege"

Nach dem Votum der Innenminister beraten heute die Regierungschefs der Länder über ein Verbot der rechtsextremen NPD. Es wird damit gerechnet, dass die Ministerpräsidenten der Empfehlung ihrer Fachminister folgen. Diese hatten sich am Mittwoch für einen erneuten Verbotsantrag an das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen. Die Regierungschefs wollen am späten Nachmittag ihre Entscheidung bekannt geben. An den Gesprächen nimmt auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) teil.

Formal muss der Bundesrat noch abstimmen
Rein formal muss über einen Verbotsantrag dann noch im Bundesrat abgestimmt werden. Die Länderkammer ist neben Bundestag und Bundesregierung berechtigt, einen Antrag auf ein Parteiverbot beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. Ein erstes Verbotsverfahren gegen die NPD war 2003 gescheitert.

Es helfe vermutlich wenig, Menschen mit rechtem Gedankengut "in die Ecke zu drängen und zu kriminalisieren", sagte Präses Kurschus, die oberste Repräsentantin von knapp 2,5 Millionen Protestanten. "Verbotenes entwickelt eine merkwürdige Attraktion, und es zu tun, sorgt für Aufmerksamkeit." Die leitende Theologin der viertgrößten Landeskirche in Deutschland empfiehlt stattdessen, möglichst offen über das Thema zu reden und genauer zu ergründen, "was da wirklich passiert und was wir dagegen tun können".

Ansetzen bei Sozialpolitik
Rechtsextreme Einstellungen fänden sich in der Mitte der Gesellschaft und die meisten Rechtsextremisten seien "im Innersten gar keine Überzeugungstäter", betonte Kurschus. "Es sind offenbar unzufriedene Menschen, die sich benachteiligt fühlen und bei Neonazis mitmachen, weil ihnen das Aufmerksamkeit und ein Gefühl von Stärke vermittelt."

Die tiefe Kränkung von Menschen etwa durch soziale Ungerechtigkeit lasse leicht einen Boden entstehen, "der aufnahmebereit ist für alles, was einen Menschen nach vorne bringt - und sei es eine extreme Tat oder Einstellung". Hier sei auch die Politik gefragt: "Eine gute Sozialpolitik ist ja auch eine gute Politik gegen Rechtsextremismus." So müsse es Möglichkeiten geben, Menschen in Arbeit zu bringen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance hätten.

Wichtig sind nach Ansicht der westfälischen Präses aber auch Angebote für gefährdete Jugendliche, "wo sie sich aufgehoben fühlen und für etwas engagieren können". Ein Orchester oder ein Sportverein könne junge Leute prägen und stärken, "sie werden beachtet und entwickeln Selbstbewusstsein". In dieser Richtung müsse mehr geboten werden, das gelte auch für die Kirchen.

2003 scheiterte ein Verbotsverfahren
Es wäre der zweite Versuch, die rechtsextreme Partei vom Bundesverfassungsgericht verbieten zu lassen. 2003 scheiterte ein Verbotsverfahren, weil das Beweismaterial zu sehr auf Berichten von V-Leuten fußte, die selbst eng in Entscheidungen der Partei verwickelt waren.

Diesen Fehler wollen die Innenminister im Fall eines neuen Verfahrens nicht noch einmal machen. Im Frühjahr entschieden sie, in den Führungsriegen der NPD alle V-Leute "abzuschalten", wie das in der Sprache der Verfassungsschützer heißt. Das in den vergangenen Monaten gesammelte Material, das Grundlage eines neuen Verbotsverfahrens sein könnte, stammt diesmal aus anderen Quellen des Verfassungsschutzes, auch öffentlich zugänglichen.

Es könnte für ein Verbot reichen, resümiert ein vor wenigen Tagen vorgestelltes Gutachten des Vizepräsidenten des Karlsruher Sozialgerichts, Franz Wilhelm Dollinger. Im Auftrag der niedersächsischen Landesregierung untersuchte er die Materialsammlung. Ergebnis: Die Akten belegten, dass die NPD die freiheitlich-demokratische Grundordnung in aggressiv-kämpferischer Weise beseitigen will. Das ist Voraussetzung für ein Partei-Verbot.

Dollinger hält es demnach für wahrscheinlich, dass das Bundesverfassungsgericht diesmal über das Verbot verhandeln - und die Verfassungswidrigkeit feststellen wird.

( epd )