Den Bundestag beschäftigen zwei Entwürfe zur Beschneidung

Religiöses Ritual oder strafbare Körperverletzung?

Der Bundestag berät heute erstmals über das Beschneidungsgesetz. Der Regierungsentwurf sieht vor, die Beschneidung minderjähriger Jungen zu erlauben, wenn medizinische Standards eingehalten werden. Den Parlamentariern liegt außerdem ein alternativer Entwurf vor, der eine Beschneidung erst ab dem 14. Lebensjahr erlaubt.

Autor/in:
Christoph Scholz
Beschneidungsgesetz kommt (KNA)
Beschneidungsgesetz kommt / ( KNA )

Sicherung des gesellschaftlichen Friedens

Der Bundestag befasst sich an diesem Donnerstag in Erster Lesung mit einer Regelung der Beschneidung männlicher Kinder. Den Abgeordneten liegen zwei Gesetzentwürfe vor. Dabei steht nicht nur die Rechtssicherheit für die in Deutschland lebenden Juden und Muslime zur Debatte, denen dieses Ritual wesentlich für Religion und Tradition ist. Es wird auch um die Sicherung des gesellschaftlichen Friedens gehen.  Denn in der Auseinandersetzung um das Urteil des Kölner Landgerichts von Anfang Mai, das die Beschneidung als strafbare Körperverletzung wertete, schreckten manche auch vor Ausländerfeindlichkeit und antisemitischer Hetze nicht zurück.



Nicht wenige Juden und Muslime sahen über Nacht ihre Akzeptanz und Beheimatung in Deutschland infragegestellt. Regierung und Parlament bekräftigten umgehend, dass jüdisches und muslimisches Leben in Deutschland nicht nur geduldet sondern erwünscht ist. Eine fraktionsübergreifende Mehrheit forderte die Regierung auf, rasch einen Gesetzentwurf vorzulegen, "der sicherstellt, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig ist".



Nach den Regeln der ärztlichen Kunst

Die Novelle aus dem Hause von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) gibt Eltern nun "das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll". Es sei denn, das Kindeswohl ist gefährdet. Ferner sollen rituelle Beschneider künftig besonders ausgebildet werden. Sowohl der Zentralrat der Juden als auch die Muslime begrüßen die Vorlage.



Massive Kritik kommt hingegen von Kinderschutzorganisationen und dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte. Sie folgen dem Kölner Gericht und sehen in der Beschneidung eine "schwere und irreversible Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit". Hierauf geht der zweite fraktionsübergreifende Gesetzentwurf auf Vorschlag der Kinderbeauftragten von SPD und Grünen, Marlene Rupprecht und Katja Dörner ein. Demnach soll eine Beschneidung erst mit 14 Jahren stattfinden dürfen, sofern das Kind "einsichts- und urteilsfähig ist, der Beschneidung zugestimmt hat und diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst" von einem Arzt durchgeführt wird. Nach Rupprecht macht der Regierungsentwurf Kinder "zu Objekten der elterlichen Sorge". Eine Beschneidung nach jüdischer Tradition, die in den ersten acht Tagen stattfinden soll, wäre ausgeschlossen.



Recht auf Unversehrheit vs. Fürsorgerecht

Juristisch geht es um eine Güterabwägung zwischen dem Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes und dem Fürsorgerecht der Eltern, das wiederum das Recht auf Religionsfreiheit umfasst. Der Regierungsentwurf folgt bisheriger Rechtsprechung, wonach die Beschneidung keinen staatlichen Eingriff in das Elternrecht erlaubt.



Nicht der Staat, sondern die Eltern haben über das Kindeswohl zu entscheiden, betont etwa der Kölner Strafrechtler Wolfram Höfling.

Bei der Abwägung wird darauf verwiesen, dass die Beschneidung etwa in den USA zur medizinischen Grundversorgung gehört und hunderttausendfach medizinisch indiziert wird. Die medizinische Schwere des Eingriffs wird auch ein Thema der Expertenanhörung am 26. November im Bundestagsrechtsausschuss sein.



Zur Disposition steht eine jahrtausendealte Tradition

Allerdings geht es bei der Abwägung um weit mehr. Zur Disposition steht eine jahrtausendealte Tradition, die zumal für die Juden als Besiegelung des Bundes mit Gott zum Kern ihrer Religionszugehörigkeit gehört. Zudem wird der Gesetzgeber kaum von der besonderen Verantwortung Deutschlands für jüdisches Leben nach dem Holocaust absehen können. Der evangelische Erlanger Ethiker Peter Dabrock spricht von einer "Stellvertreterdebatte" über die Grundlagen des Zusammenlebens einer multikulturellen Gesellschaft. Wieviel Toleranz, wieviel Recht räumt eine zunehmend säkulare Gesellschaft der Religion ein?